Zivilgesellschaftliche Initiativen in Syrien fordern die Partizipation von Frauen

Unter Beschuss

Mitten im syrischen Bürgerkrieg gewähren lokale Initiativen, Nachbarschaftsgruppen und Vereine einen letzten Rest gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das Büro für Frauenangelegenheiten in Ost-Ghouta ist eine solche Organisation.

Chefdirektor, so lautete seine offizielle Berufsbezeichnung. Für seine Kollegen war Anas al-Basha mehr als das. Der »Ort der Hoffnung« war sein Arbeitsplatz, eine der vielen lokalen Initiativen, die sich im Bombenhagel von Aleppo gegründet haben. Der »Ort der Hoffnung« kooperiert mit zwölf Schulen und vier psychosozialen Zentren in Ost-Aleppo, um Waisenkinder psychologisch und finanziell zu unterstützen. Al-Basha war es, der ihnen ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er arbeitete als Clown in einem Gebiet, in dem es kaum Grund zum Lachen gibt.
»Die Welt hat euch vergessen!« Flugblätter mit dieser Aufschrift werden dieser Tage über Aleppo abgeworfen, um die zurückgebliebenen Zivilisten zur Aufgabe zu bewegen. Vergessen soll man auch al-Basha, den 24 Jahre alten Syrer, der wie so viele seiner Freunde und Mitarbeiter kürzlich den russischen Luftangriffen zum Opfer fiel. Sein Tod ist nicht nur eine Tragödie für all diejenigen, die nach wie vor in den Rebellengebieten ausharren, ­sondern zeigt auch, wie zerbrechlich das bisschen Zivilisation ist, das von ­lokalen Initiativen im ganzen Land aufgebaut wurde. Dass solche Gruppen ­inmitten des von Krieg und Barbarei verwüsteten Syrien überhaupt existieren, ist erstaunlich. Zugleich stören sie das Narrativ des Assad-Regimes, wonach der Krieg ein Abwehrkampf gegen den Terror sei. Die Mehrzahl der humanitären Bemühungen, von denen häufig gesprochen wird, erfolgen in den von Rebellen gehaltenen Gebieten. Beinahe ausschließlich werden sie ehrenamtlich geleistet. Was sie verbindet, ist der Wille zu überleben.
Seit dem Beginn des syrischen Aufstands leitet Bayan Rehan in Ost- Ghouta bei Damaskus das »Büro für Frauenangelegenheiten des lokalen Komitees«. Die Organisation bietet Workshops zur Selbstermächtigung von Frauen an. Rehan selbst ist eine der wenigen Frauen in Ost-Ghouta, die sich seit Beginn der syrischen Proteste politisch betätigt. Sie beteiligte sich an Demonstrationen, leistete Erste Hilfe für verletzte Demonstranten, besuchte Begräbnisse und dokumentierte in ­lokalen Medien Verbrechen. Als Leiterin des Büros für Frauenangelegen­heiten organisiert sie Veranstaltungen, die Frauen ermutigen sollen, sich am politischen Tagesgeschehen zu beteiligen. »Vielen Männern fehlt der Respekt gegenüber politisch aktiven Frauen«, sagt Rehan der Jungle World. »Sie lehnen die Idee einer Frau ab, die neben ihnen sitzt. Sie halten sie für minderwertig.« Das will Rehan ändern – ein schwieriges Unterfangen. Ost-Ghouta ist eine oppositionelle Enklave nahe Damaskus, die derzeit von zwei brutalen islamistischen Gruppen beherrscht wird: Jaish al-Islam und Failaq al-Rahman.
Die Forderung nach politischen Parti­zipa­tions­mög­lich­keiten für Frauen missfällt aber nicht nur den Isla­misten. Vor drei Jahren wurde Rehan das erste Mal von der Militärpolizei des Assad-Regimes verhaftet und Opfer psychologischer und physischer Folter. In ­einer winzigen Zelle wurde sie mit acht anderen Frauen im Alter von 16 bis 65 Jahren über ein Monat lang gefangen gehalten, bis man sie schließlich austauschte. Für 48 iranische Revolutionsgardisten kam sie frei.
Doch davon ließ Rehan sich nicht beirren. Zusammen mit anderen veranstaltet sie mittlerweile Workshops über »Frauen in der Politik«. Und sie macht aus der Not eine Tugend: »Vor dem Konflikt dachten viele Syrer, dass Frauen nicht arbeiten sollten. Als dieser aber andauerte, gab es einen signifikanten Wandel. Viele Männer sind im Krieg ums Leben gekommen oder wurden eingesperrt. So begann die Gesellschaft, unser Anliegen zu unterstützen.«
Auch wenn Rehans Veranstaltungen immer wieder für Unmut in der konservativen Stadt Ghouta sorgen, fürchtet sie am meisten die Luftangriffe. Im September organisierte sie mit verschiedenen Frauenverbänden aus Idlib und Aleppo eine Kundgebung gegen die russische Aggression. Im August 2015 verübte die syrische Luftwaffe ­eines der tödlichsten Massaker in der Stadt Douma in der Region Ost-Ghouta. Über 96 Zivilisten starben und min­destens 200 Schwerverletzte blieben zurück. Mehrere Geschosse hagelten während der Einkaufszeit auf dem örtlichen Markt in die Menschenmenge. Das Ziel sollten die Islamisten von Jaish al-Islam sein, getroffen hat es aber ­Rehans Angehörige.
Mehrere Luftangriffe ereigneten sich auch am 25. November in Ost-Ghouta. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen wurden Schulen und Wohngegenden getroffen. Im bombardierten Gebiet waren 43 Prozent der Verletzten und 60 Prozent der Toten Kinder unter 15 Jahren oder Frauen.
»Die Bewohner von Douma fürchten, dass sie als nächstes das Schicksal von Aleppo erleiden«, sagt Rehan. Erst im Oktober rückten die Truppen Assads knapp drei Kilometer an Douma heran. Die Lebensmittel sind längst knapp geworden. Seit drei Jahren befindet sich die Stadt bereits unter Be­lagerung des Assad-Regimes. In der vergangenen Woche wurden Teile der ­Bevölkerung aus al-Tall im Norden von Damaskus und dem Stadtteil Khan al-Shi evakuiert. Damit festigen die Regierungstruppen Assads ihre Positionen um Damaskus weiter.
Seit Beginn des Aufbegehrens gegen das syrische Pendant der irakischen »Republik der Angst« ist ein institutionelles Vakuum entstanden, in dem zivile Initiativen wie Rehans Frauenkomitee gegründet wurden. Durch die europäische Fokussierung auf Stabilität, Terrorbekämpfung und Migrationsabwehr gerät ihr Engagement häufig in Vergessenheit.