»Reichsbürger« und AfD-Mitglieder teilen denselben Souveränitätsbegriff

Völkische Selbstermächtigung

Die Vorstellung, dass Deutschlands staatliche Souveränität nicht bestehe und nur von einer völkischen Führung wiederhergestellt werden könne, eint »Reichsbürger« und AfD-Mitglieder.

Anfang November lud der AfD-Kreisverband Gifhorn-Peine (Niedersachsen) Holger Fröhner ein, um Gästen die Möglichkeit zu geben, »kritische Fragen zum Thema Souveränität« zu stellen. Fröhner ist ein Ideologe der »Reichsbürger« und war Pressesprecher des Deutschen Polizeihilfswerks (DPHW), einer gewalttätigen Bürgerwehr der »Reichsbürger« mit Ablegern in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Souveränität ist sowohl für »Reichsbürger« als auch für die AfD ein Kernbegriff.
Gerhard Ittner, verurteilter Holocaust-Leugner mit Kontakten zum NSU-Umfeld (Jungle World 13/15), ist der Idealtypus eines »Reichsbürgers«. Ein »Fremdherrschaftsregime« inklusive »Vernichtungsauftrag gegen das deutsche Volk« habe Deutschland im Würgegriff und behandle »deutsche Menschen« wie »entmündigte Sklaven«, so Ittner. Der Mann wähnt sich deshalb offenbar im Kriegszustand. In Ittners Weltsicht zeigt sich die Sorge um die »Souveränität« als ein wiederkehrendes Element der Ideologie der »Reichsbürger«.
Auch Jan Rathje nennt in einer Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung die angebliche Unterdrückung der Souveränität des »deutschen Volkes« als eine zentrale Überzeugung der »Reichsbürger«. Diese Vorstellung ist ein wichtiges Bindeglied zwischen »Reichsbürgern«, der AfD und anderen neurechten Strömungen. So sagte die AfD-Bundessprecherin Frauke Petry: »Deutschland handelt nicht souverän.« Merkel regiere »wie ein Lakai im Auftrag mehrerer Herren, die auf dem Rücken der Deutschen ihr eigenes Süppchen kochen«. Am 11. November rief Petry in Pirna: »Wir wollen unser Land zurück!« Deutschland müsse aus den Händen »politisch korrekter Eliten« und Medien befreit werden, die die Deutschen mit »Lügen, Tatsachenverdrehung« und »Einimpfung von Schuldgefühlen« geistig gefangenhielten. Björn Höcke, der AfD-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, findet, deutsche Interessen müssten gegen eine »durchgeknallte Pseudoelite« durchgesetzt werden, die versuche, dem »Volk das Recht auf Zukunft« zu nehmen.
Mediale Hilfe bekommen Petry und Höcke von dem Verschwörungsideologen Ken Jebsen. Ausländische Mächte und ihre Agenten in Deutschland »steuern die Themen, über die wir uns unterhalten«, behauptet er. Alles was »gewissen Kreisen« nicht passe, werde unterdrückt. Jebsen sagt, »sie«, dunkle Kräfte außerhalb deutscher Medien, hätten ihn diffamiert, weil er über das Geldsystem, den Holocaust und 9/11 berichtet habe, was diesen »Kreisen« offenbar nicht gepasst habe. »Sie« hätten dabei aber ein »digitales Vietnam« erlebt.
Kampferfahren ist auch Jürgen Elsässer. Er sieht den Sieg bereits heraufziehen, denn die »Kräfte der Volkssouveränität sind auf dem Vormarsch« und die Drahtzieher der »Volkszerstörung treten den Rückzug« an. Bis dahin kämpft der völkische Partisan im besetzten Deutschland mit seinem »publizistischen Maschinengewehr der Volkssouveränität«, dem Magazin Compact, weiter gegen die Feinde des Deutschtums.
Der Begriff der Souveränität geht auf den absolutistischen Staatstheoretiker Jean Bodin (1530 – 1596) zurück. Souveränität sah er verkörpert in der Person des Monarchen als Quelle aller Autorität und Staatsgewalt. Für den englischen Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588 – 1679) war Souveränität im »Leviathan« gegenwärtig, dem gewaltmonopolistischen und einheitlich herrschenden »Staatskörper«. Die Beherrschten, so die Idee, sollten per Vertrag einem Souverän die Herrschaft über sich übertragen. Durch die Verallgemeinerung aller Einzelnen im Souverän sollte dieser das Wollen aller »zu einem gemeinsamen Willen« vereinigen. Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) wollte Souveränität aus einem einheitlichen und unteilbaren »Volkswillen« herleiten, die volonté général. Partikulare Interessen könnten diesen verfälschen. »Volkswille« und Souveränität sind identisch.
Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) vereigentlichte im ausgehenden 18. Jahrhundert die deutschen Souveränitätsdebatte. Um deutsche Souveränität wiederzuerlangen, müsse Schluß mit »Ausländerei« sein, denn alle »Übel, an denen wir jetzt zugrunde gehen, sind ausländischen Ursprungs«. Fichte zufolge galt es, deutsch zu werden oder unterzugehen. Darin folgen ihm die AfD und Reichsbürger bis heute. Auch Fichte wollte Befreiung von allem vermeintlich Fremden, denn dies hindere das »Deutsche«, sich zu verkörpern. Die Juden als ewige Antagonisten und der Adel als volksfremde Elite sind für Fichte souveränitätszersetzend, »Staat im Staate«. Was bei Fichte der Adel, ist bei der AfD »Pseudoelite«.
Fichtes geistige Erben aus der sogenannten Neuen Rechten, die die Gesellschaft als Dualität von »Elite« und Volk betrachten, wollen eine korrumpierte »Elite« durch eine völkische ersetzen. Denn nur eine völkische »Elite« könne »zum Wohle des Volkes« herrschen. Herrschaft soll so auf eine völkische Grundlage gestellt und radikalisiert werden.