Homestory #50

Da wird in dieser Ihrer liebsten Wochenzeitung andauernd Diskriminierung kritisiert, die Seiten schwitzen political correctness aus und dann so etwas: In der Redaktion der Jungle World wird zuweilen facial profiling eingesetzt. Am strengen Türsteherinnenblick der Themaredakteurin kommen eben nicht einfach alle vorbei, die es wollen. Ein junger Mann versuchte am Dienstagmorgen, sich mit einem nonchalanten »Hallo« Eintritt in die Redaktionsräume zu verschaffen, und stapfte siegessicher an einer Kollegin, die unaufmerksam ein »Morgen« nuschelte, vorbei in den Flur, als die in investigativem Journalismus geschulte Themaredakteurin in Alarmbereitschaft ging. »Wer war denn das?« fragte sie ihre nachlässige Kollegin, um dann schon zum Rauswurf des Eindringlings anzusetzen. Doch dieser konnte in letzter Sekunde noch glaubhaft versichern, er sei doch nur der hilfsbereite Praktikant, der seit Wochen hier die Drecksarbeit für die forschen Redakteurinnen und Redakteure erledige. (So hat er das selbstverständlich nicht gesagt, die jungen Leute trauen sich ja nichts mehr, rasieren sich sogar für ihren Ausbeutungsbetrieb, Anm. d. Red.) Er hatte sich nämlich rasiert, zum Vorschein kam ein völlig neues Gesicht, das die sich nur noch in Hipster- und Salafistenkreisen bewegende Redakteurin überhaupt nicht zuordnen konnte. (»Die sehen ja alle gleich aus, diese reinen Hautgesichter, wo keine Männlichkeit sprießt«, dachte die Redakteurin sicher, sagte sie aber nicht, sie will ja nicht diskriminieren, Anm. d. Red.) Dennoch, vorschnelle Verurteilungen sind hier nicht angebracht, sondern Vorsicht. Denn nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo wurden die Sicherheitsmaßnahmen auch in Redaktionen hierzulande erhöht, die aufmerksame Redakteurin hat also zunächst einmal Lob verdient für ihren mutigen Einsatz. Hätte der junge Mann bärtig um Einlass ersucht, wäre ihm dieser aber sicher gewährt worden, denn Terrorislamisten wären ja schön blöd, wenn sie dem Klischee entsprechend in voller Haartracht anrücken würden. Das wäre doch viel zu auffällig. Nein, ­rasiert mit reinem Hautgesicht würden sie sich anschleichen, doch darauf ist die Terrorismusexpertin selbstverständlich vorbereitet. Und die nachlässige Kollegin sollte vielleicht einfach mal ausschlafen. Schockiert, aber erleichtert, dass doch nichts Schlimmeres passiert ist, ist die Jungle World angesichts des Brandanschlags in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember auf das Berliner Cafékollektiv K-Fetisch (siehe Small Talk S. 20). In dessen Räumen hatte vor kurzem unter anderem die Lesung mit der Jungle World-Autorin Patsy l’Amour laLove stattgefunden. Unsere Solidarität geht an das Kollektiv.