Der Front National und die französischen Konservativen

Rechte gegen Rechte

Der Front National greift vor der französischen Präsidentschaftswahl seine konservativen Konkurrenten an.

Wer sich eine Verbürgerlichung der Partei erhofft haben sollte, dürfte einmal mehr enttäuscht werden. Der französische Front National (FN) bleibt seinen politisch-ideologischen Grundlagen treu, obwohl seine seit Januar 2011 amtierende Führung den offenen Antisemitismus aus der Partei zu verbannen versucht, weil sie ihn für kontraproduktiv hält. Doch das gelingt ihr nicht immer. Als Reaktion auf den Ausgang der Bundespräsidentenwahl in Österreich verkündete der FN-Europaabgeordnete Gilles Lebreton via Twitter, er wisse schon, wer die Schuld an der Niederlage »unseres Verbündeten«, also der FPÖ, trage – nämlich »die mediale Verteufelung durch Omi Gertrude«. Damit spielte er auf eine 89jährige Shoah-Überlebende an, deren mahnendes Video vor der Stichwahl über drei Millionen Mal angesehen worden war.
Bei anderen Themen hält die FN-Führung sich weit weniger zurück, glaubt sie doch, der gewöhnliche Rassismus und ihr Diskurs gegen Einwanderung stoße bei potentiellen konservativen Bündnispartnern und bei vielen Wählern auf weit offenere Ohren. Am 8. Dezember forderte die FN-Vorsitzende Marine Le Pen einen Ausschluss »ausländischer Kinder« vom kostenlosen und obligatorischen Schulbesuch im öffentlichen Bildungswesen: »Ich habe nichts gegen Ausländer, aber ich sage ihnen: Wenn ihr in unser Land kommt, dann erwartet nicht, dass ihr versorgt werdet, dass ihr ärzlich behandelt oder dass eure Kinder kostenlos unterrichtet werden, damit ist jetzt Schluss, die Schönwetterperiode ist zu Ende.«
Auf einem anderen Gebiet schaffte es Le Pen in den vergangenen Wochen, sich auf ebenso unerwartete wie für sie vorteilhafte Weise zu profilieren, nachdem am 27. November der frühere Premierminister François Fillon bei der Vorwahl der Konservativen zum Präsidentschaftskandidaten nominiert worden war (Jungle World 48/16). Fillon tut sich unter anderem dadurch hervor, dass er die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher zu seinem Vorbild erklärt hat und eine faktische Privatisierung der Krankenversicherung in Aussicht stellt. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollen künftig auf Langzeiterkrankungen wie Krebs oder Alzheimer beschränkt werden. Alles andere sollten private Krankenversicherungen übernehmen, so der konservative Kandidat. Bislang verfügen fünf Millionen abhängig Beschäftigte in Frankreich über keine private Zusatzversicherung, überwiegend aus finanziellen Gründen. Sachverständige haben errechnet, dass sich die Versicherungskosten dieser Personengruppe unter Fillons Programm verdoppeln würden. Erst drei Wochen nach dem Aufflammen der Debatte über seine gesundheitspolitischen Vorhaben relativierte Fillon am 14. Dezember seine Aussagen leicht und versicherte, er plane keine Privatisierung oder Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversicherung. Dass er große Einsparungen vornehmen wolle, dementierte er jedoch nicht.
Doch die Sécurité sociale in Frankreich, die 1945 geschaffen wurde, ist ein direktes Erbe des Nationalen Widerstandsrats, in dem sich unter anderem Gaullisten und Kommunisten im Kampf gegen die nazideutsche Besatzung zusammengeschlossen hatten und der die Grundlinien für die Zeit nach der Befreiung entworfen hatte. Le Pen ließ die Gelegenheit nicht verstreichen, ihrerseits die Französinnen und Franzosen dazu aufzurufen, das Erbe des Nationalen Widerstandsrats zu verteidigen. Somit schwang sie sich zur Erbin der französischen Résistance auf – als Vorsitzende einer Partei, die ab 1972 maßgeblich von früheren Nazikollaborateuren aufgebaut worden war.
Auf anderen Feldern dagegen versucht der konservativ-wirtschaftsliberale Bürgerblock um die Partei Les Républicains, dem FN Konkurrenz zu machen – etwa beim Thema Ehe für alle. Im Gegensatz zu ihrer Nichte Marion hatte Marine Le Pen bei den großen Demonstrationen im Jahr 2013 entschieden, sich nicht an der Straßenmobilisierung zu beteiligen. Unter anderem weil sie sozial- und wirtschaftspolitische »harte Themen« für wahlentscheidend hält, aber auch weil sie, nach dem Vorbild der niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn und Geert Wilders, gerne jüngere Frauen und Homosexuelle in eine Einheitsfront gegen Muslime einspannen würde. Deswegen und weil sie der FN-Führung vorwerfen, mehrere Homosexuelle in ihren Reihen zu haben, tendieren viele Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe zu den Konservativen.
Manch einer, der zwischen Konservativen und FN schwankt, hat sich derzeit Fillon angeschlossen. So rief der 2014 für den FN ins Europaparlament gewählte, dann jedoch als »Dissident« in Erscheinung getretene Aymeric Chauprade zur Unterstützung Fillons auf. Chauprade war zunächst als Experte für Außenpolitik an der Seite von Le Pen in Erscheinung getreten, wurde dann jedoch mutmaßlich von der Armeeführung zur Zurückhaltung aufgefordert. Er ist Reserveoffizier und unterrichtet an militärischen Einrichtungen.
Am Abend seines Vorwahlsiegs waren in Fillons Hauptquartier auch Charles Millon und Jacques Blanc zu Gast, zwei in den vergangenen Jahren weitgehend in Vergessenheit geratene konservative Regionalpolitiker. Beide hatten nach den Regionalparlamentswahlen im März 1998 auf lokaler Ebene Allianzen zwischen einem Teil der Konservativen und dem FN gebildet. 
Zahlreiche Websites des als facho­sphère bezeichneten rechtsextremen Mediensektors warben vor der Vorwahl der Konservativen zwar nicht direkt für Fillon, agitierten jedoch gegen seinen Stichwahlgegner Alain Juppé. Sie höhnten wegen dessen Plädoyers für interkulturelle Toleranz über »Ali Juppé« und stellten ihn fälschlich als Bündnispartner von Islamisten dar. Besonders tat sich dabei die fanatisch antimuslimische und an »Anti-Antifa«-Aktivitäten beteiligte Netzpublikation Riposte Laïque (Laizistischer Gegenschlag) hervor.
Inzwischen haben die rechtsextremen Medienmacher ihre Kampagne ausgeweitet und kurz vor dem Jahreswechsel auch auf den Vorwahlgewinner Fillon ausgedehnt. Rechtsextreme Schmuddelseiten bedachten ihn mit einer Welle von Hassbotschaften als »Farid Fillon« und warfen ihm vor, dass er in seiner Amtszeit als Premierminister auch Beziehungen zu französischen Muslimen gepflegt habe und 2010 zur Einweihung einer Moschee eingeladen worden sei. Der stellvertretende FN-Vorsitzende Louis Aliot verurteilte die Angriffe und sprach davon, das Internet sei »ein Ort der Anarchie«, wo viel »Quatsch« verbreitet werde. Doch Florian Philippot, ebenfalls stellvertretender Vorsitzender, verteidigte die Attacken am 23. Dezember beim Radiosender RTL, auch wenn er hinzufügte, die Partei selbst habe mit den Hassmails »nichts zu tun«. Sie wurden allerdings auch auf Le Pens Twitteraccount veröffentlicht.