Eine Ausstellung in Berlin kritisiert den Trend zur Selbstoptimierung

Blutdruckmessen für Hipster

Die Künstlergruppe Schaum wendet in ihrer neuen Performance die Mechanismen der Selbstoptimierung auf die Kunst und auf den künstlerischen Schaffensprozess an.

Der Begriff »Selbstoptimierung« hat es längst von der soziologischen Fachliteratur in die Alltagssprache geschafft. Kaum ein Lifestyle-Magazin, das den Begriff nicht verwendet. Auch die Mitglieder der Künstlergruppe Schaum, Alexandra Lotz, Tim Kellner und Marc W1353L, haben sich des Themas in einer kleinen Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz angenommen.
Zur Eröffnung der Ausstellung wurde eine Performance gezeigt, die die Interaktionen zwischen verschiedenen Formen der Selbstoptimierung veranschaulicht. Damit die Selbstoptimierer das Maximum aus sich herausholen können und ihre hochgesteckten Ziele nicht verfehlen, kontrollieren sie sich gegenseitig mithilfe von Sensoren am Körper, medizinischen Überwachungsgeräten, Computerprogrammen und Apps. Die bizarren Ergebnisse der Messungen werden danach penibel in Tabellen erfasst. Die Tabelle ist in der Ausstellung zu sehen. Nicht Big Brother ist überall, sondern Big Data scheint alles zu beherrschen.
Für das Künstlerkollektiv ist auch der künstlerische Schaffensprozess nicht frei vom kapitalistisch geprägten Streben nach öffentlicher Aufmerksamkeit, sozialer und ökonomischer Anerkennung. Der Künstler als Selbstoptimierer ist kein Exot, sondern wird zum Prototyp des modernen Individuums. Mit Blick auf die Kapriolen des internationalen Kunstbusiness, das seinen erfolgreichen Akteuren vom jedes Privatleben fragmentierenden Jet Set-Leben über unermüdliche Produktivität bis hin zu stets eloquentem Auftreten und attraktiver »Marktpräsenz« alles abverlangt, ist dieser Befund sicher richtig.
Die Mechanismen und Facetten der Selbstoptimierung sind vielfältig: Auf den großformatigen Fotos der Serie »Several Ways of Reading« sieht man junge attraktive Menschen, die halbnackt, mit dem Rücken zum Betrachter, aus dem Fenster schauen – aber vermutlich nur ihr eigenes Spiegelbild studieren, Narziss lässt grüßen. Die aufgeblätterte Doppelseite einer Zeitschrift zeigt, welche Ansprüche Menschen bei der Partnersuche haben und welches Selbstbild sie verbreiten: Da erwähnen die einen ihren »enormen beruflichen Erfolg« und ihr »sehr attraktives« Aussehen, die anderen sind topvital, kerngesund und auch moralisch auf der richtigen Seite, denn sie sind sehr aktiv bei »Ärzte ohne Grenzen«. Da wird von Romantik, Erotik, Samt und Seide, Federn und Dessous schwadroniert. 
An der gegenüberliegenden Wand hängt ein Triptychon. Das Bild in der Mitte zeigt Seifenblasen. Daneben eine Frau in einer Umkleidekabine bei der Auswahl eines Kleides. Welches soll sie bloß kaufen?
Um Transzendenz geht es in der Arbeit »Paradise Regained«: Mit religiösen Inschriften bestickte Papiertaschentücher sind unter Glashauben drapiert. Besonders eindrucksvoll sind die beiden als »Preziosen« bezeichneten Verpackungen von Maschinengewehren. Die Gewehre selber fehlen, nur die exakte Aussparung ihrer Form in den Transportkoffern macht deutlich, was hier mal gelegen hat. Die leeren, »billigen« Verpackungen sind in weiß lackierte Bronze gegossen und damit ästhetisch aufgewertet worden. Wo auch immer die Gewehre liegen, sie bilden das perfekt inszenierte, wenn nicht politisch, so doch ästhetisch korrekte Accessoire zur Selbstverteidigung des modernen, starken, unerschrockenen Narzissten. »Strong is the new skinny« war neulich auf einer Werbung für Hanteln zu lesen.
Die Gruppe arbeitet mit Fotografie, Malerei, Grafik, Objekt, Installation und Performance. Die Künstler begreifen sich als Probanden in einem soziologischen Experiment. Aus diesem Selbstverständnis heraus bringen sie sich physisch in ihre Arbeit ein, untersuchen Selbstoptimierungsprozesse am eigenen Leib, sind Versuchspersonen ihrer eigenen künstlerisch-empirischen Studien und fotografieren sich gegenseitig.

Schaum: Selbstoptimierung. Akademie der Künste Berlin, Pariser Platz. Bis 2. April 2017