Die Linke und das Recht

Mord und Totschlag

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 2
Kolumne Von

»Warum wurde der nur wegen Totschlags verurteilt? Das war doch vorsätzlich und dann ist das Mord.« So schallt es vom Tresen der Stammkneipe und ich zucke innerlich zusammen. An der Theke sitzt ein Stammgast, er ist sichtlich erregt und sieht mich fragend an. Da ich schon lange in die Kneipe gehe und ihn mag, obwohl er Union-Fan ist, erkläre ich es ihm. Die Verwirrung entsteht hauptsächlich aus einem Grund. Wir sind wegen US-amerikanischer Filme und Serien daran gewöhnt, den Vorsatz hier zum Knackpunkt zu machen. Mit den Tötungsdelikten im deutschen Strafrecht verhält es sich jedoch anders. Der Grund dafür, wie könnte es auch anders sein, ist die Strafrechtsreform der Nationalsozialisten.

Im Kaiserreich wie in der Weimarer Republik unterschied man den schwerwiegenderen Tatbestand des Mordes vom Totschlag anhand der Frage, ob der Täter mit vorangegangener Überlegung gehandelt hat. Dies entsprach Gedanken aus dem römischen Recht und daher auch vielen anderen europäischen Rechtsordnungen dieser Zeit. Beide Tatbestände setzen jedoch Vorsatz voraus, also dass der Täter wusste, was er tat, und die Tat auch begehen wollte.

Nach der Machtübernahme machte sich die nationalsozialistische Regierung daran, das Recht in ihrem Sinne umzugestalten. Das bedeutete zum einen die Abkehr von den römischen Rechtsquellen. Diese galten den Nazis als zu abstrakt und damit unter Verdacht jüdischen Einflusses. Stattdessen sollte ein Recht geschaffen werden, das sich an den »rassisch« bedingten Bedürfnissen der »Volksgemeinschaft« orientierte. Im Strafrecht wurde nicht mehr so sehr die Tat in den Mittelpunkt der rechtlichen Würdigung gestellt, sondern die Persönlichkeit des Täters. Im Gewohnheitsverbrechergesetz wurde ein bereits in der Weimarer Republik gefertigter Gesetzentwurf für die Rassenpolitik umgeschrieben und 1933 in Kraft gesetzt. Gemäß dem vom Reichsrechtsführer Hans Frank ausgegebenen Grundsatz »Recht ist, was dem Volke nützt, Unrecht, was ihm schadet« sollte das Strafrecht primär dazu dienen, schädliche Elemente aus der »Volksgemeinschaft« zu entfernen.

Zu diesem Zweck wurde 1941 auch der Paragraph 211 des Strafgesetzbuchs, der Straftatbestand des Mordes, reformiert. Dass der Täter, nicht die Tat, ins Zentrum gerückt wurde, zeigt sich ganz offen. »Der Mörder wird mit dem Tode bestraft«, lautet der erste Absatz. Wer so ein Mörder ist, sollte der Richter an einer Liste von Merkmalen erkennen, aus denen er auf die Gesinnung und den Charakter des Angeklagten schließen sollte. Zum einen gab es Merkmale, anhand derer aus dem Motiv die Gesinnung des Täters abgeleitet werden sollte. Diese lauteten Mordlust, Habgier, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und sonstige niedrige Beweggründe sowie die Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken. Zum anderen gab es Merkmale, anhand derer aus der Begehungsweise auf die Gesinnung des Täters geschlossen werden sollte, namentlich Heimtücke, Grausamkeit und Begehung mit gemeingefährlichen Mitteln. In der NS-Zeit hatten die Richter eine weit größere Auslegungsfreiheit als zuvor in der Weimarer Republik und später in der Bundesrepublik, und viele nutzten diese auch.

In der Bundesrepublik wurde der Straftatbestand lediglich redaktionell überarbeitet und die Todesstrafe durch lebenslange Freiheitsstrafe ersetzt. In der Rechtsprechung versuchte man fortan, die täterbezogene Wertung durch eine tatbezogene zu ersetzen. Probleme machen die Merkmale jedoch weiterhin. Vor allem das Merkmal der Heimtücke beschäftigte mehrmals das Bundesverfassungsgericht, da es relativ unbestimmt ist. Die schwere Bestrafung einer heimtückischen Tatbegehung war den nationalsozialistischen Juristen besonders wichtig, da sie darin eine Anknüpfung an germanische Rechtstraditionen sahen. Ein großer Anteil der Verurteilungen wegen Mordes während der NS-Zeit erfolgte aufgrund dieses Merkmals. Aber nicht jede heimtückische Begehung, das heißt, unter Ausnutzung der Arg- und damit Wehrlosigkeit des Opfers, erscheint gleich verwerflich. Die über Jahre misshandelte Ehefrau, die ihren Mann vergiftet, steht hier rechtlich dem Profikiller gleich. Beiden droht unterschiedslos lebenslange Freiheitsstrafe. Hier das gleiche Maß an Unrecht festzustellen, erscheint unangemessen. Ebenso – wie es kürzlich wieder Thema war – der tödliche Ausgang eines rücksichtslosen Autorennens, dessen Teilnehmern nun die gleiche Strafe droht wie dem erwähnten Profikiller.

Derzeit gibt es Bestrebungen, den Tatbestand zu reformieren. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will insbesondere das Merkmal der Heimtücke überarbeitet sehen sowie mildere Strafen als die lebenslange Freiheitsstrafe ermöglichen. Eine eigens dafür einberufene Expertengruppe präsentierte einen entsprechenden Vorschlag. Dieser stieß jedoch wenig überraschend auf Widerstand in der CDU/CSU. Der Vorschlag widerspreche der »überragenden Bedeutung des Lebens«, so der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU). Mit einer baldigen Reform ist also nicht zu rechnen.