Der Attentäter von Stockholm hatte Kontakte mit Jihadisten

Vom Schläfer zum Terroristen

Rakhmat Akilov, der mutmaßliche Attentäter von Stockholm, hatte Verbindungen zum »Islamischen Staat«. Ob er auch Kontakte zur jihadistischen Szene in Schweden hatte, ist noch unklar.

Die Schadenfreude war insbesondere den Anhängern Donald Trumps deutlich anzumerken: Kaum war die Nachricht vom Anschlag in Stockholm bekannt geworden, kursierten in den sozialen Netzwerken hämische Bemerkungen über das liberale Schweden und Lobpreisungen des US-Präsidenten, der mit »what happened last night in Sweden« wie immer recht behalten habe. Dabei gehört Schweden zu den europäischen Ländern, in denen islamistischer Terror nicht erst seit der Anschlagswelle der beiden vergangenen Jahre zum Thema wurde – bereits 2010 war ein Selbstmord- und Autobombenanschlag in der Stockholmer Innenstadt gescheitert, weil der Täter die Bomben nicht planmäßig zünden konnte und nur sich selbst tötete. Auch der Anschlag am Freitag voriger Woche verlief offenbar nicht wie geplant. Doch der Terrorist tötete mit einem LKW in einer Stockholmer Einkaufsstraße vier Menschen und verletzte 15 weitere.

Akilov wurde in Märsta festgenommen. Ob er zufällig dorthin gekommen war, steht noch nicht fest – bei der Rekrutierung schwedischer Jihadisten spielte der Vorort eine große Rolle.

Der mutmaßliche Attentäter Rakh­mat Akilov hat nach Angaben der Behörden gestanden. Dass seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen und er noch nicht abgeschoben worden war, gilt mittlerweile den meisten ausländischen Medien ebenso als Skandal wie die Tatsache, dass seine Radikalisierung nicht bemerkt wurde. Für letztere sei sein mittlerweile gelöschtes Facebook-Profil immerhin ein eindeutiger Beleg. Neben privaten Bildern und in sozialen Medien typischen Witz-Posts fanden sich dort manchmal Links und Bemerkungen, die auf islamistischen Fanatismus schließen lassen. So teilte Akilov einen Text, in dem der Anschlag beim Boston-Marathon 2013 bejubelt wurde, und Videos des »Islamischen Staats« (IS).
Stringent in seinen Ansichten war Akilov allerdings nicht, denn er zeigte auch deutliche Sympathien für Hizb al-Tahrir (HT), eine unter anderem im Deutschland, Russland, der Türkei und den meisten arabischen Staaten verbotene islamistische Organisation, die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen ist. Die HT kämpft für ein globales Kalifat, erkennt aber die Führung des IS-Kalifen nicht an und sprach sich gegen den Terror dieser Konkurrenzorganisation aus, in dessen Herrschaftsgebiet HT-Mitglieder verfolgt werden. Der Widerspruch scheint Akilov nicht gestört zu haben.
So gab es zwar Hinweise auf Sympathien für den Islamismus, nicht aber darauf, dass der 39jährige Akilov terroristisch aktiv werden würde. 2014 hatte er eine Aufenthaltserlaubnis in Schweden beantragt – vermutlich hatte er da schon längere Zeit auf Baustellen im Ausland gearbeitet, während seine Frau mit den gemeinsamen vier Kindern weiter in Usbekistan lebte. Im Jahr 2016 verlor Akilov seinen Arbeitsplatz. Sein ehemaliger Arbeitgeber sagte der Zeitung Expressen, dass er ihn mehrmals während der Arbeit schlafend vorgefunden habe: »Wir machen Asbestsanierung und das ist nun wirklich kein Umfeld, in dem man einschlafen sollte.« Akilov bewarb sich bei einer anderen Firma, gab dort als Qualifikation an, dass er sich mit Sprengstoff auskenne, und zeigte ein Zertifikat vor, das dies bestätigen sollte. Die Stelle bekam er nicht, einem ehemaligen Arbeitskollegen, der ihn vor einigen Wochen zufällig traf, sagte er, er vertreibe sich die Zeit »mit rauchen und schlafen«.

Ob er zu diesem Zeitpunkt schon geplant hatte, mit einem LKW in eine Menschenmenge zu fahren, ist nicht bekannt. Kontakte zu IS-Anhängern hatte er jedenfalls schon, wie die russische Zeitung Prawda berichtet. Sie veröffentlichte ein bislang nicht unabhängig überprüftes Chatprotokoll Akilovs mit einem unter dem Pseudonym Abu Fatyma tätigen tadschikischen IS-Anhänger. Einen Tag vor dem Anschlag listete Akilov dem Protokoll zufolge einige Gegenstände und chemische Substanzen auf und fragte, ob es möglich sei, daraus eine Bombe zu bauen. Er wolle sich ein »großes Auto« besorgen, um damit in eine Menschenmenge zu fahren. Eine knappe halbe Stunde nach der Tat chattete Akilov, der später auf einem Fahndungsfoto in ein Handy sprechend gezeigt wurde, demnach wieder mit Abu Fatyma. »Es ist schlecht gelaufen«, sagte er und berichtete, dass er zwar »über einige drübergefahren« sei und »zehn Leute erwischt« habe, »das Auto ist aber falsch gefahren«. Nun sei er auf der Flucht und »am Flughafen, in einer Sackgasse«. 

Akilov wurde schließlich im rund acht Kilometer vom Flughafen Arlanda entfernten Märsta festgenommen, wo er in einem Imbiss aufgefallen war. Ob er zufällig nach Märsta gekommen war, steht noch nicht fest – bei der Rekrutierung schwedischer Jihadisten spielten dieser Vorort und zwei in der Stockholmer Innenstadt gelegene Geschäfte eines Mannes namens Abu Omar jahrelang eine wichtige Rolle. Wer die unter dem Namen Abu Omar bekannt gewordene Person ist, ist unklar. Der aus Marokko stammende Geschäftsmann gilt als Finanzier und Anwerber von Rekruten für den Jihad. Die Säpo, der schwedische Geheimdienst, ermittelte schon seit den neunziger Jahren erfolglos gegen ihn. Nach Recherchen des schwedischen Fernsehmagazins »Uppdrag granskning« hatte Mohammed Belkaïd ein Praktikum in einem der beiden Geschäfte von Abu Omar absolviert, bevor er sich dem IS anschloss und später nach Europa zurückkehrte, um Anschläge in Paris und Brüssel zu koordinieren. Diese Geschäfte fungierten als Versammlungsorte, junge Männer wurden dort radikalisiert und für den Jihad angeworben.

Anfang 2000 war Omar in einer Moschee in Brandbergen aktiv – mutmaßlich gehörte er zu deren Gründungsmitgliedern –, in der die erste Generation späterer schwedischer al-Qaida-Kämpfer indoktriniert wurde. Seine Verbindungen zum internationalen Terrorismus zeigten sich auch in den folgenden Jahren, 2006 stellte die schwedische Steuerfahndung bei einer Durchsuchung seiner Wohnung große Mengen an Bargeld sicher – in Umschlägen, die mit den Namen bekannter al-Qaida-Mitglieder versehen waren. Im selben Jahr versuchten die USA, Omar auf die Terroristenliste der UN setzen zu lassen.

Unter Omars Adresse war damals unter anderem Mohammed Moumou gemeldet, der später als stellvertretender Anführer von al-Qaida im Irak galt und 2008 in Mossul bei einem Attentatsversuch von US-Soldaten erschossen wurde. Einer von Moumous Verwandten benutzte ebenfalls die Meldeadresse von Abu Omar, der junge Mann zog geleakten Rekrutierungsdokumenten des IS zufolge im Juli 2014 als einer der svenska jihadister in den Krieg und wurde im Dezember 2015 in der Türkei verhaftet, als er erneut auf dem Weg nach Syrien war.

Die Aktivitäten in der Brandbergener Moschee hatten sich sogar bis Marokko herumgesprochen, wie aus einem Interview der Zeitung Expressen vom Dezember 2016 mit einem Mann hervorgeht, der wegen nicht näher benannter terroristischer Straftaten in seinem Herkunftsland Marokko vorbestraft war. Die dortige Geheimpolizei habe ihn im Verhör explizit nach Personen gefragt, die Verbindungen zur Moschee in Brandbergen hätten, sagte er damals, aber er habe zu dem Thema nichts sagen können.
Magnus Sandelin, der Autor des Sachbuchs »Svenska IS-krigare. Från al-Qaida till Jihadi cool« (Schwedische IS-Krieger. Von al-Qaida zu Jihadi Cool), in dem es um das schwedische Jihad-Netzwerk geht, hält diese Aussage nicht für glaubhaft. Eine Verwandte des Mannes, der heute von sich sagt, ein ruhiges Pensionärsleben zu führen, sei immerhin mit Otman al-Khamlichi verheiratet, einem Marokkaner, der jungen Schweden die Reise zum IS nach Syrien finanzierte und der im Winter 2014 ein Selbstmordattentat verübte. Aber selbst wenn die Rekrutierungen in der mittlerweile geschlossenen Moschee in Brandbergen der schwedischen Säpo verborgen geblieben wären, hätte sie in den folgenden Jahren genügend Beweismaterial für eine Verurteilung Omars sammeln können. Als Jihadisten 2010 ein Attentat auf die dänische Zeitung Jyllands-Posten planten, war Abu Omar eine der letzten Personen, die sie vor ihrer Abreise aus Schweden anriefen; einer der Männer hatte zuvor öfter eines der Geschäfte besucht. Ebenfalls 2010 stellte Taimour Abdulwahab sein Auto in der Stockholmer Innenstadt ab und ging zum nahegelegenen Geschäft von Omar. Aus Versehen löste er dabei eine Bombe aus, die er am Körper trug.
In einem Interview mit dem Fernsehmagazin »Uppdrag granskning« Ende 2016 versuchte der Säpo-Abteilungsleiter Anders Kassmann den Zuschauern zu vermitteln, warum es nie gelang, Abu Omar vor Gericht zu stellen: »Wenn es möglich wäre, das hier zu erklären, also im Detail, was dabei extra schwer war – dann wäre ich sicher, dass die meisten das auch verstehen würden.« Abu Omars Geschäfte sind mittlerweile geschlossen, er wird im Einwohnerregister seit 2012 als »verschwunden« geführt – nach Recherchen von »Uppdrag granskning« lebt er jedoch immer noch in Schweden »und sucht junge Männer auf, um sie für den IS zu gewinnen«.