Im Kampf gegen die Terrorgruppe Boko Haram geht Kamerun rabiat gegen Journalisten und Zivilisten vor

Berichterstattung als Verbrechen

Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram ist auch in Kamerun aktiv. Bei ihrer Bekämpfung gehen Staat und Militär auch rabiat gegen Zivilisten, Journalisten und Menschenrechtler vor.

Die Terrorgruppe Boko Haram, die in Nigeria seit 2010 ihr Unwesen treibt, attackiert seit 2013 auch gezielt Ortschaften in der nördlichsten Region des Nachbarlands Kamerun. Allein 2016 fielen ihren Anschlägen 260 Menschen zum Opfer. Bei der Bekämpfung von Boko Haram geht das kamerunische Militär brutal und menschenrechtswidrig vor. Zivilisten werden allein wegen des Verdachts der Komplizenschaft mit Terroristen von der Brigade d’intervention rapide, einer Eliteeinheit des kamerunischen Militärs, verschleppt, gefoltert und ermordet. Seit 2014 sind Amnesty International zufolge 170 000 Menschen in Kamerun vor dem Konflikt zwischen Boko Haram und dem Militär geflohen.

Die Berichterstattung darüber wird durch die Behörden enorm erschwert. Staatliche Repression gegen Journalisten und Menschenrechtler ist im seit 35 Jahren von Paul Biya autokratisch ­regierten Kamerun an der Tagesordnung. Seit der Verabschiedung eines »Antiterrorgesetzes« im Jahr 2014 trifft sie vermehrt Journalistinnen und Journalisten, die über den Konflikt mit Boko Haram berichten. Jüngstes Opfer ist der Hausa-Korrespondent von Radio France International (RFI), Ahmed Abba, der vergangene Woche wegen angeblicher Komplizenschaft mit Boko Haram von einem Militärgericht zu zehn Jahren Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet 85 000 Euro verurteilt wurde. Sollte er das Geld nicht aufbringen können, erhöht sich die Gefängnisstrafe auf 15 Jahre.

Abba wurde im Juli 2015 in Maroua, der größten Stadt Nordkameruns, im Zuge seiner Recherchen über Boko Haram von der kamerunischen Polizei festgenommen. Monatelang wurde der Ort seiner Gefangenschaft geheimgehalten. Abba wurde gefoltert und hatte keinen Kontakt zu Angehörigen oder Anwälten. Erst am 29. Februar 2016 wurde vor einem Militärgericht der Prozess gegen ihn eröffnet. Die An­klage, Abba habe Boko Haram verteidigt, wurde fallengelassen, unter anderem weil sich in keiner einzigen seiner journalistischen Publikationen eine der Terrorgruppe wohlgesinnte Äußerung finden ließ. Dennoch wurde er schuldig gesprochen, relevante Informationen über die Terrorgruppe nicht an die Behörden weitergegeben zu haben. Im Prozessverlauf konnten hierfür jedoch keine stichhaltigen Beweise erbracht werden. Bei der Prozesseröffnung waren die Aussagen von fünf Zeugen angekündigt worden, von denen bis zum Urteilsspruch kein einziger erschien. Die Anklage stützte sich außerdem auf die Speicherkarte eines Handys, die in einem Internet-Café in Maroua gefunden und Abba zugeordnet wurde. Sie soll nach wechselnden Aussagen der Staatsanwaltschaft zuvor einem Terroristen oder einem Terroropfer gehört haben.

Abba, der stets seine Unschuld beteuerte, erhielt internationale Unterstützung und Solidaritätsbekundungen von Kollegen und Freunden. Am 24. April wurde das Urteil verkündet, am Tag danach legte die Verteidigung Berufung ein. Abbas Anwalt bezeichnete den ­Prozess als Intrige gegen seinen Mandanten und fordert nach wie vor Freispruch. Er ließ verlauten, dass Abba weiter für seine Freilassung kämpfen werde.
Regierungskritische Zeitungen attackierten das Urteil scharf. Es wird befürchtet, dass die Pressefreiheit unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung weiter eingeschränkt wird. Denis Nkwebo, der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft Syndicat National des Journalistes du Cameroun (SNJC), bewertete in einem Interview mit Abbas Arbeitgeber RFI das Urteil als Bestrafung der gesamten kamerunischen Presse: »Dies ist ein Versuch, den Berufsstand des Journalisten zu kriminalisieren. Alles, was Abba vorgeworfen werden kann, ist, seinen Beruf ausgeübt zu haben.«

Staatliche Repression betraf in den vergangenen Monaten auch Journalistinnen und Journalisten, die im Südwesten Kameruns über die dort seit Monaten anhaltenden Proteste berichteten. Im Herbst vergangenen Jahres hatten dort Streiks von Anwälten und Lehrkräften eine Protestbewegung ausgelöst. Im englischsprachigen Südwesten fühlen sich viele von der Zentralregierung im ansonsten mehrheitlich französischsprachigen Kamerun wirtschaftlich und sozial marginalisiert. Bei Demonstrationen kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, mehrere Protestierende wurden festgenommen. Derzeit sollen sich auch mindestens sechs Journalisten, die über die Proteste berichteten, in Haft befinden. Als Antwort auf die Demonstrationen wurden in den betroffenen Gebieten Mitte Januar die Internetverbindungen gekappt und erst am 20. April wiederhergestellt. Der dortige Regionalverband des SNJC berichtet von staatlichen Anordnungen, die Proteste nicht mehr zu thematisieren. Journalisten sähen sich gezwungen, Selbstzensur zu betreiben, um den Behörden keinen Anlass für eine Festnahme zu geben.

Für die Bevölkerung im vom Konflikt mit Boko Haram besonders betroffenen Norden ist das Urteil gegen Abba in doppelter Hinsicht eine schlechte Nachricht: Erstens bedeutet die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit, dass ihnen der Zugang zu gesicherten Informationen erschwert wird. Desinformationskampagnen sowohl von Seiten Boko Harams als auch des Militärs könnten für weitere Verunsicherung sorgen. Zweitens macht der kamerunische Staat mit der Verurteilung Abbas deutlich, dass die journalistische Begleitung des Kampfes gegen Boko Haram unerwünscht ist. Weitere extralegale Verschleppungen und Erschießungen durch das Militär, die ohne die Berichterstattung von Journalisten im Dunkeln bleiben, sind zu befürchten.