Mit Föten reden
Eine Woche vor der Bundestagswahl findet in Berlin der alljährliche »Marsch für das Leben« von Abtreibungsgegnern, fundamentalistischen Christen und Erzkonservativen statt. Eine thematische Steilvorlage lieferte den »Lebensschützern« ein von der hippen Werbeagentur Jung von Matt entworfener CDU-Wahlwerbespot, in dem Angela Merkels Stimme einen computeranimierten Fötus mit »du« anspricht und fragt, »in welchem Deutschland« er denn später einmal leben werde. Die SPD hat das Motiv in einem Gegenspot aufgenommen und verspricht ihrem Fötus gerechte Bezahlung und Investitionen in Bildung statt wie die CDU »ein Land mit starken Familien«. Auch die Sozialdemokraten duzen ihren Fötus. Für Aufsehen sorgte dabei vor allem der Umstand, dass die SPD ihr Gegenvideo vor dem Clip der CDU lanciert hatte. Ablesen kann man an dem Scharmützel, wie sich die Ikonographie des Ungeborenen im öffentlichen Diskurs etabliert hat. Dies entfachte wahre Freude bei den Fötusfans: Die Bundesvorsitzende der »Christdemokraten für das Leben« (CDL), Mechthild Löhr, nannte den Spot der CDU einen »erfreulichen Beitrag«, der die »Würde und Kostbarkeit jedes Ungeborenen beeindruckend sichtbar« mache.
Die neue Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), Alexandra Linder, wollte in der pränatalen Ankumpelei der großen Parteien sogar »hoffnungsvolle Wahlversprechen« wahrnehmen. Der Bundesverband organisiert den Berliner »Marsch für das Leben« und versucht, der Bewegung politische Linien vorzugeben. Linder, dreifache Mutter und Autorin des Buches »Geschäft Abtreibung«, kündigte anlässlich ihrer Wahl im Mai an, »die grundgesetzlich verankerte Gewissensfreiheit« von medizinischem Personal zu einem Schwerpunkt der Verbandsarbeit zu machen. Diese Gewissensfreiheit bestehe »oft nur auf dem Papier«.
Einer demnächst erscheinenden Studie des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Apabiz zufolge werden Ärzte und medizinisches Personal immer mehr zur strategischen Zielgruppe der »Lebensschützer«. Langfristig soll dadurch der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen eingeschränkt werden. Diese Bestrebungen seien als Kampfansage an den rechtlichen und gesellschaftlichen Status quo bei Abtreibungen einzuschätzen, sagt die Autorin der Studie, Eike Sanders. Der Versuch des damaligen Leiters der Gynäkologie der Capio-Elbe-Jeetzel-Klinik in Dannenberg, Thomas Börner, unter Berufung auf die Gewissensfreiheit seiner ganzen Abteilung die Ausführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu untersagen, ist demnach nur ein Vorgeschmack.
Der Schweigemarsch der »Lebensschützer«, der am 16. September stattfinden soll, steht in diesem Jahr unter dem Motto »Die Schwächsten schützen«. Gemeint sind damit werdende Kinder mit Behinderung, als deren alleinige Anwälte sich die Abtreibungsgegner begreifen. So darf ein Kleinkind mit Trisomie 21 auf den Bildern des Mobilisierungsmaterials nicht fehlen. Das »frühzeitige Selektieren von Kindern mit unerwünschten genetischen Merkmalen« ist auch das Hauptthema der Fachtagung »Bioethik und Menschenwürde« des BVL, die einen Tag vor dem Marsch stattfindet. Am selben Tag kommt zudem die Bustour der Kampagne »Demo für alle« in Berlin an. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit soll »für die Zweigeschlechtlichkeit, gegen Gender, Sexualisierung und für all unsere damit verbundenen Positionen« geworben werden. Zudem sollen Unterschriften der Petition »Ehe bleibt Ehe« gegen die gleichgeschlechtliche Ehe übergeben werden.
Da der Wahlkampf läuft, dürfte in diesem Jahr der Teilnahme von AfD-Mitgliedern am Marsch besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Mit Beatrix von Storch nimmt seit Jahren eine prominente Vertreterin der Partei teil, die für sich reklamiert, die wahren christlichen Werte zu vertreten.
Das Bündnis »What the fuck!« ruft für den 16. September zu einer queerfeministischen Demonstration auf, die am Berliner Wittenbergplatz beginnen soll. Die Demonstration soll an der AfD-Zentrale vorbei zum Brandenburger Tor führen, wo das »Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung« seinen Aktionstag veranstaltet.