Im mexikanischen Oaxaca protestieren Anwohner seit Jahren gegen große Windkraftanlagen und Bergbauprojekte

Beben und Gegenwind

In der mexikanischen Landenge von Tehuantepec protestieren Anwohner seit Jahren gegen große Windenergieparks und Bergbau­projekte. Von den versprochenen positiven ökonomischen und ­ökologischen Entwicklungen profitieren die wenigsten.

Die Folgen sind auch zwei Monate später noch zu spüren. Am 7. September erschütterte ein Erbeben der Stärke 8,2 auf der Richterskala die südmexikanischen Bundesstaaten Oaxaca, Chiapas und Tabasco. Mehr als eine Million Menschen sind betroffen, fast 100 kamen ums Leben. Weitere Nachbeben, Starkregen und heftige Winde verschlimmern die Situation vor allem in einer Landenge, dem Isthmus von Tehuantepec im Bundesstaat Oaxaca. Die Grundversorgung war in den ersten Tagen nach dem Beben kaum gegeben, staatliche Hilfe kam schleppend und unzureichend an. Sach- und Geldspenden, die Unterstützung von Basisorga­nisationen und die Einrichtung selbstorganisierter Gemeinschaftsküchen konnten manche Nöte lindern, reichen aber immer noch nicht aus. In vielen Ortschaften leben zwei Monate nach dem Beben immer noch viele Menschen unter Plastikplanen und versuchen, ihre Häuser wieder aufzubauen. Die medizinische Versorgung ist kritisch, es fehlt an Medikamenten und Impfstoffen. Besonders betroffen sind entlegene, verarmte Küstenorte.

Der politische Umgang mit dem Erdbeben und die Organisation der Hilfs- und Aufbauarbeiten sind äußerst mangelhaft. Bewohner und Nichtregierungsorganisationen kritisieren das intransparente Vorgehen der Behörden und Korruption bei Registrierungen für Schadenersatzzahlungen, den Abriss von beschädigten Häusern, ohne die Bewohner darüber zu informieren, und die Einstufung von kaputten Häusern als »teilweise beschädigt«, was ­geringere Schadenersatzzahlungen bedeutet. Bekannt wurde auch, dass Hilfsgelder bei korrupten Regierungsbeamten versickerten oder zu spät ausgezahlt wurden. Mitglieder der Bürgerversammlung Asamblea del Pueblo de San Dionisio del Mar (APSDM), einem Dorf an der Küste, beobachten zudem eine »politische Konditionierung« der Hilfe: Staatliche Geld- und Sachleistungen verteilte die Gemeinde­präsidentin direkt an Parteimitglieder der ehemaligen Staatspartei PRI; asembleistas, Mitglieder von APSDM, fehlten zu Unrecht auf der Liste der Erdbebengeschädigten.

Die Windenergieanlagen haben zahlreiche Landkonflikte in den Ortschaften des Isthmus von Tehuantepec verschärft.

Der klägliche Umgang mit den Folgen des Erdbebens verschärft bereits bestehende Konflikte in der historisch für Handel und Infrastruktur wichtigen Region. Die APSDM ist eine der Gruppen, die seit Jahren Kritik an geplanten und bestehenden Windenergieparks üben. Zwischen 2012 und 2014 war sie maßgeblich an großen Protesten be­teiligt, die unter anderem die Errichtung eines Windparks in der Nähe der Ortschaft verhinderten. Der Konflikt um Windenergieanlagen besteht seit Ende der neunziger Jahre, als der mexikanische Staat begann, Lizenzen vor allem an europäische Energiekonzerne zu vergeben. Mittlerweile stehen auf etwa 20 000 Quadratkilometern fast 25 Windparks mit teils über 100 Turbinen. Der Isthmus ist die Region, die weltweit am dichtesten mit Windrädern bebaut ist. Die Windstärken dort gehören zu den höchsten der Welt.

Des Weiteren bestehen im Isthmus zahlreiche Konzessionen für Bergbauprojekte, gegen die es seit mehreren Jahren ebenfalls Proteste gibt. Sowohl der »Windkorridor« als auch der »Bergbaukorridor« sind Teil von Regierungsvorhaben wie dem »Mesoamerikanischen Integrations- und Entwicklungsprojekt« – der ehemalige Plán Puebla Panamá, gegen den Bewegungen wie die Zapatistas im benachbarten Chiapas schon seit Jahren protestieren – und einer 2016 beschlossenen Sonderwirtschaftszone. Neben der Ausbeutung von mineralischen und energetischen Ressourcen soll in Infrastruktur, vor allem ­einen Hochseehafen, investiert und die Ansiedlung von Fertigungsbetrieben, den sogenannten maquilas, forciert werden. Letztere werden weltweit wegen der schlechten Arbeitsbedingungen kritisiert.

Die Windenergieanlagen sind stark umstritten und haben zahlreiche bestehende Landkonflikte in den Ortschaften des Isthmus von Tehuantepec verschärft. Bemängelt werden die Veruntreuung von Geldmitteln durch kommunale Amtsträger, die Fälschung von Mitgliederlisten bei kollektiven Land­titeln zur Umnutzung des Bodens für industrielle Zwecke wie Windenergieprojekte in den kollektiv organisierten Agrargemeinschaften (comunidades agrarias) und den sogenannten ejidos, und die mangelnde Information der indigenen Bewohner über die Auswirkungen Hunderter Turbinen auf das Ökosystem. Zudem waren die Indigenen nicht konsultiert worden. Dies sind nur einige Vorwürfe gegen Windenergiekonzerne und staatliche Stellen, die den Windkorridor als »gut für Entwicklung und Klimaschutz« anpreisen. Ferner wurden Kritikerinnen und Kritiker bedroht und diffamiert.

Unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen zu den ökologischen Auswirkungen der Windparks fehlen. Anwohner beobachten eine Versteppung der Landschaft durch die Versiegelung mit Beton und Zufahrtsstraßen, was bei Starkregen Überschwemmungen begünstigt. Die Trockenheit kann aber auch andere Gründe haben. Da Zugvögel wegen der Windräder sterben oder fernbleiben, gibt es vermehrt schädliche Insekten. Ungeklärt sind die Auswirkungen auf Meerestiere, wenn Dutzende Turbinen in seichtem Wasser stehen.

Die versprochene positive ökonomische Entwicklung aufgrund von Pachtzahlungen und der Schaffung von Arbeitsplätzen ist bislang nicht ein­getreten. Die Pachtzahlungen sind im internationalen Vergleich gering und gehen nur an Halter von Landtiteln, was bei kollektivem Besitz, der wegen ­unterschiedlicher Gesetze ohnehin schwer durchzusetzen ist, zu Problemen führt. Es entstehen zwar niedrig qua­lifizierte und temporäre Arbeitsplätze im Bausektor, viele Anwohner profitieren aber nicht davon. Zwischen 2000 und 2010, in den Jahren also, in denen die ersten größeren Windenergieanlagen ans Netz gegangen sind, ist der von der staatlichen Behörde Conapo gemessene Marginalisierungsgrad in den Landkreisen, in denen die ersten Anlagen gebaut wurden, gleich geblieben oder sogar gestiegen. Der Marginalisierungsgrad bemisst sich an Faktoren wie Zugang zu Wohnraum, Bildung und Einkommensmöglichkeiten in Zusammenhang mit der geo­grafischen Lage und dem Zugang zu Infrastruktur. Einige Gemeindepräsidenten kritisieren mittlerweile offen die Bundes- und Landesbehörden sowie die Betreiberfirmen und verlangen höhere Einnahmen aus der Energieproduktion für die entsprechenden Ortschaften.

Nach dem Erdbeben ist die ökonomische Situation im Isthmus noch einmal schwieriger geworden. Die bestehenden und geplanten Großprojekte dürften keine Abhilfe schaffen. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass unter Verweis auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die ökonomische Entwicklung weitere Windenergieanlagen sowie die Sonderwirtschaftszone durchgesetzt werden, ohne auf umstrittene und problematische Auswirkungen einzugehen. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Juli 2018, in denen der regierenden PRI hohe Verluste drohen, könnten bestehende politische Auseinandersetzungen noch verstärken. Vom Erdbeben betroffene Bewohner des Isthmus, gerade diejenigen in den entlegenen Küstenorten, werden sicherlich noch lange auf die Bereitstellung der Grundversorgung und umfassende staatliche Unterstützung warten müssen.

Auch wenn es vermehrt Proteste ­dagegen gibt. Ende vergangener Woche blockierten rund 900 Menschen aus 47 Ortschaften des Isthmus eine zentrale Straße der Region, um auf die in­effektive Erdbebenhilfe aufmerksam zu machen. Es werden weitere solche Aktionen erwartet. Ihren Protest wollen sie auch in die Hauptstadt des Bundesstaats tragen.