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Extravagant und unbeirrt

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30 Jahre ist es her, dass sich The Smiths offiziell auflösten, eine Band, die auf unnachahmliche Weise einem ebenso hellsichtigen wie schwermütigen miserabilism frönte, als in den Achtzigern schlichter Stumpfsinn die Popmusik beherrschte. Eine nennenswerte Solokarriere hat nach 1987 nur Morrissey hingelegt, der extravagante Sänger der Band, der eine sehr britische Mischung aus Oscar Wilde und Eddie Cochran darstellt. Diese Extravaganz war und ist keineswegs nur äußerlich; Morrissey ließ sich nie vereinnahmen: Er verspottete einstmals das »Band Aid«-Projekt, verweigert sich beständig der sexuellen wie ethnischen Identitätspolitik, tritt unbeirrt weiter in ­Israel auf und mokiert sich über die offizielle Schönfärberei des Islam, auch wenn dem überzeugten Vegetarier Morrissey in seiner langen Karriere wahrlich nicht jede Sentenz geglückt ist.

Geglückt aber ist ihm im Großen und Ganzen das zehnte Soloalbum, das unter dem Titel »Low in High School« dieser Tage veröffentlicht wird: Musikalisch leidet es wie schon die Vorgängeralben unter seiner stellenweise aufdringlichen Produktion, weckt aber trotzdem manche Erinnerung an die elegante Schrulligkeit alter Smiths-Songs. Vor allem die Single »Spent the Day in Bed« sticht hervor: Sie betrachtet die Welt aus der Sicht eines älteren Menschen, der seiner Ausschließung beziehungsweise Abwendung von der Welt durchaus etwas abgewinnen kann, denn für ihn gibt es immerhin »no bus, no boss, no rain, no train«, mit denen er sich herumärgern müsste. Ansonsten setzt Morrissey auf seinen Sinn fürs Drama im Kleinen und frönt ausgiebig seiner Vorliebe fürs Crooning. Absolut bemerkenswert sind gleich zwei Songs, die sich so klug wie explizit positiv mit Israel beschäftigen – und das in Zeiten, in denen BDS nahezu die ganze englischsprachige Kulturszene beherrscht. Morrissey hat den Mut, sich in die Nesseln zu setzen, der vielen anderen fehlt. Allein schon dafür: Chapeau!

Morrissey: Low in High School (BMG/Etienne ­Records)