Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche

Diskreter Charme des Rautenpragmatismus

Das Sondierungspapier, auf das sich CDU, CSU und SPD geeinigt haben, bietet nichts Neues, verkleistert notdürftig die Uneinigkeiten zwischen den Parteien und dürfte am Ende vor allem der AfD nützen.
Kommentar Von

Das Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD hält kaum Überraschungen für jene bereit, die sich keine Illusionen über die Natur der Gespräche gemacht haben. Die zahlreichen Worthülsen – vom »neuen Aufbruch« (europapolitisch), von Erneuerung und Veränderung (Mut zur …) und allerlei Erneuerungen mehr (Land und­soweiter) –, die abgesondert werden, können schwerlich über die Tatsache hinwegtäuschen, dass das Papier wenig Neues beinhaltet. Der Rautenpragmatismus der Kanzlerin, der bereits die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode dominierte, dieses ­dezente Regieren, das vor allem bemüht ist, sich tunlichst von jedem Ideologieverdacht reinzuhalten, bleibt. Dass damit zu rechnen war, bezeugte bereits die bloße Tatsache, dass diese Gespräche überhaupt geführt wurden, obwohl die SPD sie noch vor wenigen Wochen vollmundig abgelehnt hatte.

Die Präambel der Sondierungsvereinbarung enthält zwar die Ankündigung, man werde sich um einen politischen Stil bemühen, »der die öffentliche Debatte belebt, Unterschiede sichtbar bleiben lässt und damit die Demokratie stärkt«. Dass es sich auch hierbei nur um eine Sprechblase handelt, belegt der Rest des Papiers jedoch nachdrücklich: Dort, wo Konfrontation nicht zuletzt deshalb zu erwarten wäre, weil miteinander unvereinbare Positionen im Wahlkampf als nicht verhandelbar ausgegeben wurden, tritt Unklarheit an die Stelle des Dissenses. So bekennen sich die drei Parteien einerseits zu den »Klimazielen 2020«. Andererseits versprechen sie, die Ziele für das Jahr 2030 tatsächlich zu erreichen – diesmal »auf jeden Fall«.

Noch deutlicher findet sich das lautstarke Bekenntnis zu Zielen, die man ohnehin nicht mehr zu erreichen hofft, in den Absätzen zu Migration und Integration. Einerseits bekennen sich die Koalitionspartner in spe »strikt« zum Recht auf Asyl und zum Grund­wertekatalog des Grundgesetzes, zur Genfer Flüchtlingskonvention und den anderen Garanten einer zumindest annähernd menschenwürdigen Behandlung von Flüchtlingen. Andererseits setzen sie eine Obergrenze von 180 000 bis 220 000 Zuwanderern im Jahr – ohne anzugeben, was beim Erreichen dieser Grenze geschehen soll, ohne all die Rechte und Grundwerte zu missachten, zu ­denen man sich doch noch ein paar Zeilen vorher »strikt« bekannt hat.

So unfähig die Verhandler sind, die Widersprüche innerhalb der potentiellen Koalition wenigstens in dieser frühen Phase noch zu glätten, so klar ist abzusehen, dass die neue Regierung in der Tagespolitik wieder den zu Sachzwängen veredelten alltäglichen Problemen nachrennen und weiterhin das Bekenntnis zur EU als Vehikel nationaler Interessen nutzen wird. Ebenso einig, wie sich SPD, CDU und CSU in den Bekenntnissen zum Klimaziel 2020 und zum Grundrecht auf Asyl sind, sind sie sich »in der klaren Absage an Protektionismus, Isolationismus und Nationalismus«. Dabei schielt man freilich vor allem zum transatlantischen Partner, durch dessen neu erwachtes Interesse an ebendiesen Untugenden man handfeste Handelshemmnisse befürchtet. Die hochmoralische Absage ans nationale Eigeninteresse motiviert sich in Deutschland noch immer am triftigsten durch ebenjenes, so sehr man es auch vermeidet, laut auszusprechen, dass man freilich in der Politik noch immer die Deutschen an die erste Stelle setzt. Wer sollte es dem ­nationalen Souverän auch verdenken, als solcher zu handeln?

Dass man es noch nicht einmal mit dem laxen Universalismus der Liberalen ernst meint, ergibt sich eher implizit: Die Autoren des Papiers fordern die Stärkung der Familien, um ein paar Seiten später die Begrenzung des Familiennachzugs auf 1 000 Menschen pro Monat zu verkünden. Solche Steilvorlagen nahm die AfD im Bundestag gerne auf. Wie jeder sonst sei man ja für eine Stärkung der Familien – weshalb man die Familien in den Herkunftsländern zusammenführen solle, sagte ihr Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland nach der Veröffentlichung des Papiers.