David Gerard, Unix-Systemadministrator, im Gespräch über die Zukunft der Kryptowährungen

»Bei Bitcoin geht es weniger um Technologie als um Psychologie«

Dass die Kryptowährungsblase platzen wird, gilt als sicher, meint David Gerard, der in seinem Buch »Attack of the 50 Foot Blockchain: Bitcoin, Blockchain, Ethereum & Smart Contracts« den Hype um Kryptowährungen kritisiert. Mit der »Jungle World« sprach er über die Technologie hinter dem digitalen Geld, rechte Ideologien und erklärt, weshalb Omas keine Kryptos kaufen ­sollten.
Interview Von

Bitcoin war ursprünglich als alternatives Zahlungsmittel gedacht. Heute wird fast nur noch damit spekuliert. Was ist passiert?
Satoshi Nakamoto wollte eine neue Technik für digitales Geld entwicklen. Er hatte keine Spekulation im Sinn. Dann erreichte die Technologie hinter Bitcoin aber ihre Kapazitätsgrenze. Plötzlich veränderte sich das Geschäft mit Bitcoins von schnellen und nahezu kostenlosen Transaktionen zu lang­samen und teueren. Früher gab es zwar Händler, die Bitcoins akzeptierten, aber es wurde hauptsächlich für Drogengeschäfte genutzt. Heute kommt es nicht mal mehr dort zum Einsatz, weil die Preise zu sehr schwanken und Transaktionen zu teuer sind. Der Durchschnittspreis für eine Überweisung liegt derzeit bei 22 Dollar. Es ist also nicht als Geld zu gebrauchen und wurde schließlich zum Spekulationsobjekt.

Zuletzt wurden fast täglich neue Kryptowährungen ausgegeben. Die Ideen dahinter sind meist ziemlich fragwürdig.
Ich bin mir nicht sicher, warum der Hype wieder angefangen hat, nachdem die erste große Bitcoin-Blase 2013 platzte. Ich glaube, dieses Mal hat sich die Blase ungefähr im April 2017 ge­bildet. Nach einem Monat hatte sich der Preis verdoppelt und die Medien wurden darauf aufmerksam. Bei Bitcoin geht es weniger um Technologie als um Psychologie. Das beste Buch, das je über Bitcoin geschrieben wurde, ist »Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds« von Charles Mackay. Es ist eine Studie zu Massenpsychologie und wurde 1841 veröffentlicht. In dem Buch geht es um Speku­lationsblasen.

Auch Betrüger werden sicher von den möglich scheinenden Gewinnen angelockt.
Auf jeden Fall. Bei Kryptowährungen tauchen viele altbekannte Betrugs­maschen wieder auf. Serienbetrüger wissen: Wenn es aufregende neue ­Ideen gibt, die niemand wirklich versteht, kann man reiche Beute machen. Mit Bitcoin verbanden sich auch diese merkwürdige Ideologie der »Freiheit von Zentralbanken« und anderen anarchokapitalistischen Ideen. Diese ­Naivität schafft ideale Bedingungen für Blender und Betrüger. Darüber hinaus sind Kryptobörsen nicht reguliert. Im normalen Wertpapiermarkt ist die Handelsumgebung streng reguliert. Betrug und Marktmanipulationen, die an Wertpapierbörsen verboten sind, sind Standard auf dem Kryptomarkt. Es ist ist wie im Wilden Westen.

Ein paar Pyramidensysteme wurden von der SEC (Securities and Exchange Commission, Börsenaufsichtsbehörde der USA, Anm. d. Red.) verboten. Bisher wird aber meist nicht die Tätigkeit von Kryptobörsen reguliert, sondern der Zu- und Abfluss von Geld. Es wird also schwieriger, dem Kryptosystem Geld zuzuführen oder es rauszubekommen.

»Die Ideen, die in Bitcoin eingeflossen sind, stammen aus der politische Umgebung der libertären Rechten.«

Die Blockchain-Technologie ist die Hauptkomponente von Krypto­währungen. Was ist Blockchain überhaupt?
Eine Blockchain ist quasi ein Kassenbuch, in das man Buchungen schreibt, die man nicht mehr verändern kann. Um etwas zu korrigieren, muss man einen neuen Eintrag vornehmen. Da das Ganze elektronisch ist, kann man es kryptographisch beglaubigen. Eine bestimmte Anzahl von Transaktionen geht in einen Datenblock und die Blöcke bilden eine Kette. Es geht um einfache und schnelle Überprüfung sowie die Bestätigung, dass alles intakt ist und nicht manipuliert wurde. Es ist also kryptographisch fälschungssicher und auch nichts Neues. Bei Blockchain geht es zusätzlich darum, schneller Energie zu verbrauchen, um dafür ­Bitcoins als Belohnung zu bekommen. Dieser Vorgang wird Mining genannt. Je mehr Bitcoin benutzt wird, desto mehr Energie wird verbraucht aus keinem anderen Grund als dem, dass Computer miteinander um die Wette rechnen. Dieses Bitcoin-Mining ver­ursacht mittlerweile mehr als 0,1 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs, obwohl die eigentliche nötigen Berechnungen mit einem Smartphone von 2007 gemacht werden könnten.

 

Die Blase wird platzen

Eine Weiterentwicklung der Blockchain sind sogenannte Smart Contracts.
Mit Smart Contracts soll man Rechts- und Geschäftsbeziehungen in einem Computerprogramm automatisieren, das ohne menschliche Einflussnahme arbeitet. Ein paar Leute gehen noch weiter und glauben, dass man damit große Teile des Rechtssystems ersetzen könnte. Keine Anwälte, keine Richter, nur ein Computer, der entscheidet, was als Nächstes passiert.

Diese Idee zeugt von wenig Verständnis des Rechtssystems. Bei Gesetzen geht es nicht nur um Fakten, sondern auch Intention und Bedeutung, während Computerprogramme nur mit Fakten arbeiten. Das schlimmste an Smart Contracts ist ihre Unveränderbarkeit. Sie sollen in der Welt funktionieren. Was ist, wenn sich die Welt ändert? Was ist, wenn sich die Gesetze ändern und der Smart Contract etwas ausführt, was nun illegal ist? Es ist okay, Dinge zu automatisieren, aber es muss Eingriffsmöglichkeiten für Menschen geben.

Gibt es derzeit überhaupt konkrete Anwendungsbeispiele von Blockchains jenseits von Spekulation?
Grundsätzlich gibt es kein Anwendungsgebiet für eine Blockchain im Stil von Bitcoin, die öffentlich ist und von jedem eingesehen werden kann. Kein Unternehmen würde seine vertraulichen Informationen auf eine ­öffentliche Blockchain packen. Und eine private Blockchain ist im Prinzip eine dezentrale Datenbank. Aber bisher gibt es nicht wirklich viele Anwendungen dafür. Man sieht Ankündigungen von Pilotprojekten, aber sehr wenige Beispiele, wo es wirklich ein­gesetzt wird.

»Es ist ziemlich eindeutig, dass die Ideen, die in Bitcoin eingeflossen sind, aus der politische Umgebung der libertären Rechten stammen.«

Es gab ein Pilotprojekt der UN, ­digitale Lebensmittelgutscheine an Flüchtlinge in Jordanien auszu­geben.
Das Welternährungsprogramm hat die Ethereum-Blockchain dafür benutzt. Das hierfür entwickelte Programm lief sehr gut. Aber nicht weil es Ethereum eingesetzt hat, sondern weil man die Gutscheinverteilung intern betrieben hat. Das Programm nutzt dafür eine private Version von Ethereum als Back­end-Datenbank seines Systems. Das ganze läuft also getrennt von der öffentlichen Blockchain. Man hat das so gemacht, weil man auch andere Organisationen dafür gewinnen wollte, sich zu beteiligen. Ich freue mich, dass das Projekt funktioniert. Aber ich würde nicht sagen, dass es ein Beipiel ist, das andere nachmachen sollten. Es gibt hier keine Notwendigkeit für den Einsatz von Ethereum oder einer anderen Blockchain-Software.

Die meisten Bitcoin-Verfechter lehnen Kontrolle und Einmischung durch Regierungen ab. Einflussreiche Verfechter von Kryptowährungen bezeichnen sich selbst als Anarchokapitalisten oder Libertäre. Ist rechtes Gedankengut nur eine Tendenz oder die ideologische Grundlage von Bitcoin?
Es ist ziemlich eindeutig, dass die Ideen, die in Bitcoin eingeflossen sind, aus der politische Umgebung der libertären Rechten stammen. Einige Leute wollen einfach weniger Regierung, aber viele sind sehr ideologisch und vertreten einen sogenannten Anarchokapitalismus, in dem man Eigentum ohne Regierung haben kann. Wenn man mit Bitcoin-Verfechtern spricht, hört man oft Sachen wie: »Wir schaffen es ohne Regierung und ohne Zentralbanken!« Viel davon geht auf rechte Verschwörungsideologien zurück, in denen Zentralbanker die Welt regieren – also antisemitische Propaganda.

Kleinanleger können Kryptowährungen per Kreditkarte kaufen und klassische Finanzinstitute wollen sich beteiligen. Entsteht durch die Kryptomärkte ein Risiko für die Weltwirtschaft?
Ich glaube, das Risiko besteht noch nicht. Aber die Befürchtungen sind da. Niemanden kümmert es, wenn sich die Krypto-Leute gegenseitig ausbeuten, aber wenn Großmütter anfangen, Kryptos zu kaufen, sollte man sich Gedanken zu machen. Es ist ein Glücksspiel, kein Investment. Ich will, dass der Hype so bald wie möglich ein Ende hat so dass weniger Leute geschädigt werden, wenn die Blase platzt. Und sie wird platzen.