Alle reden von »Heimat«, auch die Linke möchte sich in der Debatte ein­mischen

Heimatschutz von links? Nein danke

Eine progressive Umdeutung des Heimatbegriffes wird häufig gefordert. Doch die linke Interpretation bleibt bestenfalls inhaltsleer, oft läuft sie auf eine Übernahme von rechten Inhalten hinaus.

Einmal mehr erlebt der politische Heimatbegriff ein Revival. Auch in der ­gesellschaftlichen und politischen Linken befasst man sich mit Heimat und ihrer Deutung. Der erste und bislang einzige Ministerpräsident der Linkspartei, Bodo Ramelow, macht schon lange mit dem Heimatbegriff Politik. In einem Gespräch mit der Taz gab Thüringens Ministerpräsident 2016 zu Protokoll: »Linke können mit dem Begriff ›Heimat‹ nichts anfangen. Das habe ich selbst nie verstanden und halte das für einen schweren Fehler im linken Spektrum (…) Man darf ihn nicht mit Rückwärtsgewandtheit verbinden, mit blond, deutsch, Schäferhund.« Thüringens Kulturminister Benjamin Immanuel Hoff, ebenfalls von der Linkspartei, argumentierte im selben Jahr auf seinem Blog für eine linke ­Besetzung des Heimatbegriffes. Ausgangspunkt für sein Plädoyer war die Feststellung, dass »Teile der Unterschicht an Nationalstaat, Patriotismus und traditionellen Wertemustern« festhalten. Ohne oder gegen diese »historische Wählerbasis« könne die Linke keine Mehrheit für eine andere Politik erringen. Daher müsse man eine »progressive politische Erzählung« entwickeln, die den Begriff Heimat nicht meidet, sondern »kognitiv und affektiv auf eine Weise besetzt, die Zustimmung für eine progressive Politik wirbt«. Heimat begreift Hoff dabei als »legitimen Wunsch nach einem Leben in verlässlichen familiären, sozialen, ökonomischen und institutionellen Arrangements«.

Im November 2016 zeigte Ramelow, in welche Richtung es gehen soll. Im Thüringer Plenarsaal gab er eine Regierungserklärung zum Thüringen-Monitor ab, der die soziale Lage und die politischen Einstellungen der Thüringer Bevölkerung misst. Drei Viertel der Befragten befürworteten darin eine nati­onale Obergrenze für Flüchtlinge und forderten konsequente Abschiebungen aller abgelehnten Asylbewerber. Jeder sechste Thüringer wurde im ­Monitor als rechtsextrem eingestuft. Ramelows Regierungserklärung stand unter der Überschrift »Heimat bewahren – Zukunft gestalten«. Ramelow hatte zwar »gemischte Gefühle« bei dem Bericht, freute sich aber, dass die Zahl der Rechtsextremen im Vergleich zum Vorjahr abgenommen habe, und fand gegen jene, die mit »nationalistischen Symbolen« und »hasserfüllten Herzen« für sich in Anspruch nähmen, das Volk zu sein, nur ein kraftloses »Nein.

Sie sind nicht das Volk« entgegen. Anschließend ging Ramelow schnell zum Philosophieren über einen »aufgeklärten demokratischen Konservatismus« über. »Konservative reklamieren die Bindung an Heimat und Familie. Wir haben in Thüringen in den neunziger Jahren gesehen, wie diese Bindung ohne soziale Sicherheit erodiert«, so Ramelow. Kurz darauf folgte die Leitidee der Regierungserklärung: »Soziale Sicherheit für alle verbunden mit Investitionen in eine lebenswerte Heimat – mit diesen Kernelementen wird die Landesregierung eine Politik umsetzen, die humanitäre Verantwortung, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Erfolg verbindet.« Ramelow wünscht sich das »Bewahren sozialer Errungenschaften als Ausdruck eines sozialen Konservatismus, nicht zuletzt weil er der Demagogie Dämme setzt«.

Wenn das die progressive politische Erzählung von Heimat ist, die Hoff eingefordert hat, dann handelt es sich darum, den Sozialstaat zu verteidigen, den man nun Heimat nennt. Doch ­Bewahren ist das Gegenteil von Gestalten – und eigentlich übt Ramelows Partei ja viel Kritik am real existierenden Sozialstaat, der Armut verwaltet und Arme drangsaliert. In Ramelows Variante reicht es gerade noch dafür, »Investitionen in eine lebenswerte Heimat« zu fordern.

Im September 2017 zog die AfD in den Bundestag ein. Heribert Prantl schrieb kurz darauf in der Süddeutschen Zeitung: »Wenn wir die Analysen der AfD-Wähler lesen, dann sagen die zu 95 Prozent, sie haben das Gefühl, dass ihnen die Heimat verlorengeht, dass ihnen die Heimat irgendwie unter dem Boden weggezogen wird.« Fortan müsse es um eine »Politik der Wiederbeheimatung von Menschen« gehen. Kurz darauf, am Tag der Deutschen Einheit, verkündete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, man dürfe die Sehnsucht nach Heimat »nicht den Nationalisten überlassen«. Prantl und Steinmeier waren damit die Stichwortgeber für Hoff, der gemeinsam mit dem seinem Parteifreund, dem Berliner Staatssekretär Alexander Fischer, in einem Gastbeitrag in der Welt erneut für den Heimatbegriff warb. Die beiden regierenden Politiker der Linkspartei schrieben: »Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat (auch in der Fremde) und damit Zukunft und Möglichkeitsräume haben.« Und: »Der selbstbewusste Weg bestünde darin, (...) Heimat progressiv zu verwenden – inklusiv statt ausgrenzend«.

 

Es gibt keinen Grund zu glauben, die Leute würden ihr Kreuz bei der Linkspartei statt bei der AfD machen, nur weil man auch die heißgeliebte Vokabel jongliert.

 

Doch eine solche progressive Verwendung des Heimatbegriffes bleibt bei Ramelow aus. Ein paar Tage nach der Veröffentlichung des Artikels seiner Genossen twitterte er Fotos von seinem Besuch beim Thüringer Trachtenverband: Männer und Frauen in ­traditionellen Trachten, Kinder in Lederhosen und mittendrin ein strahlender Ministerpräsident. Dazu schrieb er: »Heimat ist ein Gefühl in uns und es ist gelebte Tradition. Danke an den Landestrachtenverband Thüringen!« Ein Ministerpräsidenten der CDU hätte es nicht anders gemacht. Keine Spur von einer linken Besetzung des Begriffs.

Jüngst wurde die Debatte im Neuen Deutschland wieder aufgewärmt. Obschon es keine vorzeigbare Praxis gibt, die den Heimatbegriff links »besetzt«, schrieb der Autor Roberto J. De Lapuente, die Linke könne sich nicht erlauben, den »den Heimatbegriff den Rechten zu überlassen, ihn als etwas Abgeranztes wie etwas zu Vernachlässigendes abzuschieben«. Es komme darauf an, »den Begriff richtig aufzuladen. Heimat als Sicherheit und nicht als kultureller Ausgrenzer: Das wäre eine Gegenposition.« Man kann darüber diskutieren, ob die Lederhosen des Trachtenvereins nun für Sicherheit oder für Ausgrenzung stehen. Doch es gibt keinen Grund zu glauben, die Leute würden ihr Kreuz bei der Linkspartei statt bei der AfD machen, nur weil man auch mit der heißgeliebten Heimat jongliert. Die Leute wählen die AfD nicht, weil sie besonders oft Heimat sagt. Sie sagen, sie hätten das Gefühl, dass ihnen die Heimat verlorengeht, artikulieren damit aber ein Unbehagen an gesellschaftliche Liberalisierung und Einwanderung. Sie wollen nicht, das Ausländer kommen, sie wollen nicht, dass Homosexuelle heiraten, und sie wollen nicht, dass Frauen irgendwas zu melden haben. Der Thüringen-Monitor und andere sozialwissenschaftliche Untersuchungen bestätigen dies. Deshalb wollen die Wähler der AfD auch keinen wie auch immer links umgedeuteten Heimatbegriff. Sie wollen den guten, alten Heimatbegriff, der bei NPD, Freiwild, Thüringer Heimatschutz und Co. stets Chauvinismus, Ausgrenzung und Rückwärts­gewandtheit transportiert – wie auch bei der AfD.

Jakob Augstein scheint das zu wissen. Im Bundestagswahlkampf forderte er in seiner Kolumne »Im Zweifel links« auf Spiegel Online, die SPD dürfe das Thema Heimat nicht den Rechten überlassen. Weil »Einwanderung ein Quell der Sorge« sei, gehöre zu den »Aufgaben einer linken Regierung« die »Solidarität mit der ­arbeitenden Bevölkerung« und damit »der Schutz der Heimat«. Bei Augstein bleibt es nicht bei Floskeln, er sagt auch konkret, wie seine linke Heimat aussehen soll: »In keiner deutschen Schulklasse soll der Anteil der Kinder, für die Deutsch keine Muttersprache ist, höher als 25 Prozent liegen.« Es geht ihm nicht um eine linke Umdeutung des Heimatbegriffes, sondern eine linke Übernahme von rechten Themen.

Weder der Thüringer Weg noch das gegenstandslose Theoretisieren um eine progressive Umdeutung des Begriffs und erst recht nicht der Aug­stein’sche Heimatschutz sind adäquate Methoden, um den Rechten das Wasser abzugraben. Die Rechten liegen nicht richtig, weil sie stark sind. Sie sind stark, weil sie so reaktionär wie ihre Wähler sind. Für die Linke aber kann der Chauvinismus nicht die Lösung der Probleme mit dem Chauvinismus sein.