Der designierte mexikanische Präsident López Obrador will den Kampf gegen die Drogenkriminalität entmilitarisieren

Legalisieren und amnestieren

Der designierte mexikanische Präsidenten Andrés Manuel López Obrador will den Kampf gegen die Drogenkriminalität entmilitarisieren. Vor allem das geplante Amnestiegesetz ist jedoch umstritten.

Einen Gesetzentwurf gibt es noch nicht, aber die Richtung ist klar. Überraschend sagte die designierte mexikanische Innenministerin Olga Sánchez Cordero auf einer öffentlichen Konferenz am Colegio de México, die neue Regierung plane eine Drogenlegalisierung. Die Juristin setzt sich seit Jahren für eine liberale Drogenpolitik ein, die sie als wichtiges Mittel zur wirtschaft­lichen Bekämpfung des organisierten Verbrechens sieht. Andrés Manuel ­López Obrador, der die Präsidentschaftswahl am 1. Juli ggewonnen hat und am 1. Dezember sein Amt antreten wird, galt jedoch bislang als entschiedener ­Gegner einer Legalisierung von Drogen und hatte diese im Wahlkampf mehrfach ausgeschlossen. Auf Nachfrage erklärte Sánchez Cordero nun, Obrador lasse ihr in dieser Sache »freie Hand«.

Die Drogenlegalisierung ist eine Erweiterung des Friedensplans, den ­López Obrador im Wahlkampf präsentierte. Er propagiert eine Abkehr von der bisherigen Politik, unter anderem durch ein Amnestiegesetz, die Einrichtung von Wahrheitskommissionen und sozialstaatliche Maßnahmen.

Insbesondere bei den Frauen in Mexikos Gefängnissen ist der Anteil derer, die für minderschwere Drogen­delikte verurteilt wurden, groß.

Im Wahlkampf hatte die Regierungspartei PRI mit einer Kampagne gekontert, die López Obrador Schwäche im Kampf gegen das Verbrechen unterstellte. »Ich habe Angst. López Obrador möchte die Kriminellen freilassen«, sagt etwa eine Frau in einem PRI-Wahlwerbespot. Das Amnestievorhaben stößt aber auch bei Angehörigen der Opfer von Menschenrechtsverbrechen auf Skepsis und Ablehnung. »Ich möchte die Mörder meines Sohnes nicht auf der Straße sehen«, sagte der Schriftsteller Javier Sicilia, dessen Sohn 2011 im Bundesstaat Morelos ermordet worden war.

Für wen und für welche Straftaten das Amnestiegesetz gelten soll, blieb während der Wahlkampagne Obradors unklar. Am 6. Juli präsentierte er schließlich Details seines Friedensplans bei einer Pressekonferenz, an der außer Sánchez Cordero auch der designierte Minister für öffentliche Sicherheit, ­Alfonso Durazo, sowie die Menschenrechtsanwältin Loretta Ortiz teilnahmen.

Sánchez Cordero betonte, eine Amnestie für schwere Menschenrechtsverletzungen, Entführungen oder Morde werde es nicht geben. Das Amnestiegesetz solle vor allem für jene gelten, die aufgrund ihrer Armut in das Geschäft mit den Drogen geraten seien, etwa die halcones, Minderjährige, die von Drogenbanden als Informanten und Wachposten eingesetzt werden, oder Bauern, die wegen Hanf- oder Mohnanbaus verurteilt wurden. Insbesondere bei den Frauen in Mexikos Gefängnissen ist der Anteil derer, die für minderschwere Drogendelikte verurteilt wurden, hoch. Es sind oft alleinerziehende Mütter in Notlagen und ärmere Frauen aus ländlichen Gemeinden, die das organisierte Verbrechen für den Drogenschmuggel rekrutiert. Auch sie dürfen auf das Amnestiegesetz hoffen. Man wolle mit der Amnestie den Kreislauf der Gewalt durchbrechen und gerade Täterinnen und Tätern aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung eine Rückkehr in die Legalität ermöglichen, so Durazo.

Ein erster Gesetzentwurf soll Ende November vorliegen. Obrador versprach, die mexikanische Bevölkerung umfassend an der Debatte zu beteiligen. Bevor er dem Kongress die Gesetzesinitiative vorlege, wolle er auf Friedensforen mit Repräsentantinnen und Repräsentanten von sozialen Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen, religiösen Gruppen und allen voran mit Angehörigen von Opfern in ­Dialog treten. In besonders stark unter ­Gewaltkriminalität leidenden Bundesstaaten wolle man die Bevölkerung bei Hausbesuchen befragen. Für Verwirrung sorgte die Ankündigung, Papst Franziskus werde sich an den Friedensforen beteiligen. Ein Sprecher des Vatikan dementierte das. Obrador bat das Oberhaupt der katholischen Kirche nun offiziell in einem Brief um Teilnahme.

 

Eine Amnestie im Falle von schweren Menschenrechtsverbrechen wäre auch nach internationalem Recht unzulässig und könnte den Internationalen Strafgerichtshof auf den Plan rufen. Durazo sprach von einer »Übergangsjustiz«. So wurde auch ein Verfahren zur juristischen Aufklärung des Konflikts ­zwischen der Guerilla Farc und dem kolumbianischen Staat bezeichnet. ­Neben ­einer Amnestie für ehemalige Farc-Kämpfer sieht die kolumbianische Regelung unter anderem einen Strafnachlass für jene Beteiligten des Konflikts vor, die bei der Aufklärung von Menschenrechtsverbrechen mit den Behörden kooperieren und Entschädigungen an die Opfer leisten. Ob und wie eine solche Regelung auf das organisierte Verbrechen in Mexiko übertragen werden könnte, ließ Durazo ­offen.

Im Falle ungeklärter Menschenrechtsverbrechen wie der Entführung und Ermordung von 43 Studenten aus Ayotzinapa im Jahr 2014 kündigte Obrador an, Wahrheitskommissionen zur Aufklärung einzusetzen. Diese sollen aus Angehörigen der Zivilgesellschaft, Geistlichen und internationalen Experten bestehen.

Jenseits juristischer Regelungen hatte Obrador im Wahlkampf angekündigt, der Kriminalität vor allem durch sozialstaatliche Maßnahmen zu begegnen. Die militärische Lösung sei gescheitert, ­sagte er im Hinblick auf die mehr als 200 000 Todes­opfer, des Konflikts in den vergangenen zwölf Jahren. »Stipendiaten statt Sicarios« (Auftragsmörder) lautete der Wahlkampfslogan. ­Eines seiner zentralen Versprechen ist ein umfassendes neues Stipendien­system, das auch armen Jugendlichen erlauben soll, den Schulabschluss zu machen.

Dies bedeutet allerdings nicht unbedingt, dass sie auch Arbeit finden. ­­Der »Krieg gegen die Drogen« ist gescheitert. Ob Obradors Maßnahmen ausreichen, um das eng mit den politischen und ökonomischen Machtverhältnissen verknüpfte Problem der organisierten Kriminalität zu lösen, ist fraglich.

Während Sánchez Corderos Vortrag hielten im Publikum Angehörige Fotos ihrer vermissten oder ermordeten ­Familienmitglieder in die Höhe. Sie forderten eine lückenlose Aufklärung der Verbrechen und ein Ende der »Simulation« seitens der Politik. ­Anwesend war auch Javier Sicilia, der sich skeptisch zeigte. Notwendig sei kein medial ­inszeniertes Friedensforum mit dem Papst, sondern Aufklärung und Unterstützung von Opfern und Angehörigen. »Lassen wir nicht zu, dass das hier zur Show wird«, sagte der Schriftsteller.