Reform für Korrupte
Es ist inzwischen fast ein gewohntes Bild: Am vorvergangenen Wochenende kam es in allen größeren Städten Rumäniens erneut zu Massenprotesten gegen die von der Regierung vorangetriebene Justizreform. Die Proteste, die seit Anfang 2017 immer wieder stattfinden, richten sich gegen geplante Änderungen der Strafgesetzordnung. Die Demonstrierenden werfen der Regierung vor, die Änderungen würden ausschließlich prominenten Politikern nutzen, indem sie diese bei Korruptionsverdacht vor Strafverfolgung schützten und die Arbeit der Antikorruptionsbehörde DNA behinderten. Selbst die EU-Kommission sieht die Unabhängigkeit der Richter und die Kompetenzen der Staatsanwälte beschnitten und damit die Gewaltenteilung gefährdet.
In Bukarest demonstrierten am Abend des 10. August bis zu 80 000 Menschen. Es kam zu Ausschreitungen, in deren Folge 70 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden mussten. Nach Angaben der Polizei wurden insgesamt 452 Personen verletzt. Videoaufnahmen und Augenzeugenberichte belegen, dass vor allem die Polizei selbst für die Eskalation verantwortlich war. Trotz der Polizeigewalt nahmen auch an den folgenden Tagen Zehntausende an den Demonstrationen teil. Sie wandten sich nicht nur gegen die Justizreform, sondern forderten auch den Rücktritt der Regierung.
Präsident Klaus Johannis hatte vehement versucht, das Inkrafttreten einiger Gesetzesänderungen zu verzögern, verfügt jedoch nicht über ein Vetorecht und konnte die Justizreform letztlich nicht verhindern.
Der rumänische Präsident Klaus Johannis verurteilte die Gewalt gegen friedliche Demonstrierende und forderte Ermittlungen zu dem Polizeieinsatz und strafrechtliche Konsequenzen für Gewalttäter. Die regierenden Sozialdemokraten (Partidul Social Democrat, PSD) sehen die Verantwortung für die Gewalt hingegen bei Johannis selbst. Dieser hatte vehement versucht, das Inkrafttreten einiger Gesetzesänderungen zu verzögern, verfügt jedoch nicht über ein Vetorecht und konnte die Justizreform letztlich nicht verhindern, ebenso wenig die Entlassung der Leiterin der Antikorruptionsbehörde (DNA), Laura Codruța Kövesi.
Die vom PSD bereits Anfang 2017 vorgelegten Änderungen im Strafrecht hatten sogleich zu Massenprotesten geführt, woraufhin die Regierungskoalition aus PSD und der wirtschaftsliberalen Partei Alde ihr Vorhaben zunächst zurücknahm, um es dann Ende 2017 in erweiterter Form zu verabschieden. Einen besonderen Gefallen tat sich der PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea selbst, indem er die Definition von Amtsmissbrauch im Gesetz dahingehend veränderte, dass dieser nur noch unter Strafe stehen soll, wenn er dem Täter selbst oder seiner Familie einen persönlichen Vorteil verschafft hat. Kritiker sehen damit der Bevorteilung von Freunden einer Amtsperson Tür und Tor geöffnet. Dragnea musste sich bereits wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch vor Gericht verantworten und hofft nun auf einen Freispruch in zweiter Instanz.
Dragnea dürfte angesichts seiner anderen Verfahren der vergangenen Jahre generell kein Interesse an einer unabhängigen Justiz haben. 2016 wurde er wegen Wahlmanipulation verurteilt und darf seitdem nicht mehr als Ministerpräsident kandidieren. Er dominiert jedoch mit seinen Seilschaften weiterhin seine Partei und schaltet unliebsame Konkurrenz aus. Auch die laufenden Ermittlungen gegen ihn wegen Veruntreuung von rund 21 Millionen Euro aus EU-Mitteln geben einen Eindruck des Ausmaßes an Korruption. Doch nicht nur gegen Dragnea, auch gegen die Mehrheit der prominenten Politiker gibt es Korruptionsvorwürfe.
Die Mehrheit der Bevölkerung sah Kövesi als Leiterin der DNA als einzige vertrauenswürdige Instanz an – trotz der Verstrickungen dieser Behörde mit den Geheimdiensten, die auch 29 Jahre nach dem Ende der Herrschaft des Diktators Nicolae Ceaușescu nicht den besten Ruf genießen. Immerhin hat die Antikorruptionsbehörde unter Kövesi in den vergangenen fünf Jahren 68 Amtsträger vor Gericht gebracht; neun Minister, 26 Abgeordnete, sechs Senatoren und ein EU-Parlamentarier wurden rechtskräftig verurteilt.
Johannis hat sich in den vergangenen Monaten mehr und mehr als Verteidiger der Bevölkerung und Kämpfer gegen die Korruption geriert. Das wirkt sich positiv auf seine Beliebtheit aus und spricht dafür, dass er seine wirtschaftsliberalen Wahlversprechen ernst nimmt und den Forderungen der wachsenden rumänischen Mittelschicht entgegenkommt. Dennoch werden weder vereinzelte liberale, prowestliche Kräfte noch die Protestierenden die bereits stattfindende Demontage des Rechtsstaats aufhalten können. Die Opposition ist zu schwach, um sich gegen die Justizreform zu wehren.
Hatte die EU in Polen wegen Bedenken zur Rechtsstaatlichkeit noch ein Verfahren nach Artikel sieben der EU-Verträge eingeleitet, wird sie davon in Rumänien vorerst keinen Gebrauch machen. Rumänien soll von Januar bis Juni 2019 die Ratspräsidentschaft der EU innehaben. Man darf gespannt sein, ob die rumänische Regierung es bis dahin geschafft haben wird, den Rechtsstaat gänzlich zu demontieren – und wie die EU darauf reagieren will.