Die deutsche Autoindustrie will ihre Interessen mit Hilfe der Bundesregierung durchsetzen

Emission statt Innovation

Obwohl die Bundesregierung weiterhin mit einigem Erfolg versucht, Forderungen der deutschen Autoindustrie in der EU durchzusetzen, sind deren Vertreter nicht zufrieden. Der Übergang zur Elektro­mobilität verläuft schleppend.

Es war ein merkwürdiger Zufall: Einen Tag, bevor die EU-Umweltminister am 9. Oktober in Luxemburg über neue Reduktionsziele für den CO2-Ausstoß von Autos verhandelten, hatte der UN-Weltklimarat seinen Sonderbericht zur Klimaerwähnung vorgestellt. Darin fordern die Experten »schnelle und weitreichende« Maßnahmen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nur so könne die Zerstörung, die der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten anrichten werde, teilweise verhindert werden.

Das EU-Parlament hatte vor dem Luxemburger Treffen verlangt, die Emissionen neuer Autos müssten ab 2030 mindestens 40 Prozent niedriger als heute sein. Die meisten EU-Staaten unterstützten diese Forderung. Einige Länder, etwa Norwegen, Belgien, Dänemark und Frankreich, haben sich sogar selbst bereits ambitioniertere Ziele gesetzt und wollen in zehn bis 20 Jahren gar keine Benzin- oder Dieselautos mehr zulassen.

Doch auf der EU-Ebene siegte die Lobbypolitik. Deutschland war mit der Forderung angetreten, die Reduktion des CO2-Ausstoßes auf 30 Prozent zu begrenzen, unterstützt von Staaten wie Ungarn und Bulgarien, wo deutsche Autokonzerne fertigen lassen. Schließlich einigte man sich auf 35 Prozent. Zudem sollen bis 2030 40 Prozent der Neuwagen Null- und Niedrigemissionsfahrzeuge, etwa Elektroautos, sein.

China richtet sich auf eine Zukunft ohne Verbrennungsmotor ein. Bei den EU-Emissionsquoten geht es deshalb nicht nur um Umweltschutz, sondern auch um vorrausschauende Industriepolitik.

Dem war in Deutschland eine heftige Kritik der Autoindustrie an Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) vorausgegangen, die sich im Sommer für eine Rate von 45 Prozent ausgesprochen hatte. Das sei völlig unrealistisch und gefährde Arbeitsplätze, monierte der Verband der Automobilindustrie (VDA). Die Position der Autoindustrie wurde von der CDU übernommen. 30 Prozent seien die Grenze, hieß es etwa aus dem Wirtschaftsministerium. »Alles, was darüber hinausgeht, birgt die Gefahr, dass wir die Automobilindustrie aus Europa vertreiben«, warnte Kanzlerin Angela Merkel.

Auch Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte der Autoindustrie, berichtete etwa der Spiegel, waren nach Berlin gereist, um auf die SPD einzuwirken. Mit Erfolg: Zwar konnte die Maximalforderung der deutschen Autoindustrie in Luxemburg nicht durchgesetzt werden, doch ebenso wenig wurden die umweltpolitischen Forderungen des EU-Parlaments angenommen. Zudem gibt es eine Revisionsklausel, die in einigen Jahren eine Neubewertung der Emissionsziele zulässt. Dementsprechend zufrieden zeigte sich die Bundesregierung.

Wenig erfreut war Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG. 100000 Arbeitsplätze allein in seinem Unternehmen seien in Gefahr, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Tatsächlich sind deutsche Autohersteller von den neuen Emissionsgrenzen am stärksten bedroht, denn sie verkaufen hauptsächlich im Großwagen- und Luxussegment. Die immensen Gewinne – BMW ist der profitabelste Autokonzern der Welt; Volkswagen erzielte im vergangenen Jahr 13,9 Milliarden, Daimler 14,6 Milliarden Euro Profit – sind durch solche Emissionsbeschränkungen bedroht. »So eine Industrie kann schneller abstürzen, als viele glauben wollen«, warnte Diess.

Auch wegen ihrer Rechtsbrüche steht die deutsche Autoindustrie unter Druck. Seit 2017 untersucht die EU die Kartellabsprachen zwischen den deutschen Autokonzernen, die der Spiegel im Sommer 2017 öffentlich gemacht hatte. Mittlerweile hat die EU-Kommission ein offizielles Kartellverfahren eingeleitet, zunächst nur zu Absprachen bei der Entwicklung von emissions­begrenzenden Technologien. »Falls der Verdacht zutreffen sollte, hätten die Hersteller den Verbrauchern die Möglichkeit vorenthalten, umweltfreundlichere Autos zu kaufen, obwohl die entsprechenden Technologien zur Verfügung standen«, sagte die EU-Wett­bewerbskommissarin Margrethe Vestager. Deutschen Firmen drohen Mil­liardenstrafen, wobei Kartellabsprachen in anderen Bereichen – etwa bei Preisen – noch nicht einmal Gegenstand dieses Verfahrens sind.

Auch die Folgen des Dieselabgas­skandal sind noch nicht bewältigt. Ende September hat die Bundesregierung einen industriefreundlichen Maßnahmenkatalog beschlossen, der Dieselfahrverbote in deutschen Städten verhindern soll. Die Bundesregierung ­investiert zur Senkung der Abgasbelastung in die Nachrüstung von Fahrzeugen, die öffentlich oder gewerblich genutzt werden. Die Autoindustrie soll sich im Gegenzug dazu bereit erklären, die Besitzer älterer Diesel­autos in schwer belasteten Regionen – geschätzt geht es um 1,4 Millionen Fahrzeuge – entweder beim Kauf eines sauberen Wagens mit einer Prämie zwischen 4 000 und 8 000 Euro zu entschädigen oder das alte Auto nachzurüsten. Doch Letzteres verweigert die Industrie bisher, da die Nachrüstung mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden wäre. Einzelne Politiker fordern bereits, die Konzerne mit Bußgeldern zum Umrüsten der Autos zu zwingen, was die Bundesregierung zu vermeiden sucht.

Die von der US-Regierung verfolgte Handelspolitik sorgt ebenfalls für ­Unsicherheit. Im Juli hatten sich EU und USA verständigt, ein neues Freihandelsabkommen auszuhandeln. So lange sollte es auch keine weiteren Straf­zölle geben. Doch der US-Präsident stellte die Vereinbarung im August wieder in Frage und kündigte an: »Wir werden jedes Auto aus Europa mit 25 Prozent besteuern.« Die US-Regierung prüft noch, ob Autoimporte eine »Gefahr für die nationale Sicherheit« der USA darstellen. Eine ähnliche Untersuchung hatte die rechtliche Grundlage für die Schutzzölle auf Stahl- und Aluminium geliefert. Auch das Ende September unterzeichnete Freihandels­abkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada sieht zumindest die Möglichkeit vor, hohe Importzölle auf Autos zu verhängen; ausgenommen wären nur Kontingente aus Mexiko und Kanada. Wollte Trump besonders Deutschland, das mehr Autos nach Amerika exportiert als jedes andere EU-Land, bei Verhandlungen unter Druck setzen, wären solche Zölle ein geeignetes Mittel.

Der Handelsstreit zwischen den USA und China birgt für die deutsche Industrie hingegen auch Chancen. Bereits im Frühjahr hatte die chinesische Regierung angekündigt, die Autoindustrie noch weiter für ausländische Konzerne zu öffnen. Diese müssen beispiels­weise für den chinesischen Markt in Zukunft nicht mehr zwangsweise in einem Joint Venture mit einem chinesischen Partner produzieren. Seitdem bemüht sich China verstärkt um weitere Investitionen europäischer und deutscher Industriekonzerne. Volkswagen, BMW, Daimler, Continental und Bosch haben alle in den vergangenen Monaten Milliardeninvestitionen oder neue Kooperationen mit chinesischen Firmen im Autosektor angekündigt. VW und BMW entwickeln mit chinesischen Partnern selbststeuernde Autos und versuchen, sich auf dem wachsenden chinesischen Markt für Elektro­autos zu etablieren. BMW will seine Produktionskapazitäten in China auf 650 000 Autos pro Jahr steigern und bietet bereits zahlreiche vollelektrische Modelle an.

Die chinesische Regierung übt weit stärkeren Druck als die EU auf Indus­trie und Käufer aus, um den Umstieg auf elektrische Fahrzeuge zu erzwingen. Diese werden subventioniert und erhalten viel leichter Zulassungen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Emissionsbelastung ist in chinesischen Städten ein großes Problem, gegen das seit Jahren systematisch angekämpft wird. Zudem haben westliche Autokonzerne beim Verbrennungsmotor einen technologischen Vorsprung, bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen hingegen nicht – im Gegenteil.

Schlüsseltechnologien wie die Batterieherstellung werden fast vollständig von asiatischen Konzernen beherrscht. Und auch in der Autoproduktion selbst konsolidiert sich, unterstützt von der aktiven staatlichen Industriepolitik, eine ernstzunehmende chinesische Konkurrenz für die Weltmarktführer aus dem Westen.

Der größte Automarkt der Welt richtet sich also schon jetzt auf eine Zukunft ohne Verbrennungsmotor ein. Bei den EU-Emissionsquoten geht es deshalb nicht nur um Umweltschutz, sondern auch um vorrausschauende Industriepolitik. So begründen etwa die Grünen ihre Forderung, ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen, damit, dies sei »gut für unser ­Klima und rettet die deutsche Autoindustrie«.

Die AfD hat unterdessen das Potential des Themas für populistische Agitation entdeckt. Unter dem Motto »Freie Fahrt für freie Bürger« will sie Anhänger dazu motivieren, sich zum Diesel­auto zu bekennen. Im Bundestag setzte sie am 11. Oktober eine aktuelle Stunde an, ihre Vertreter sprachen sich gegen Dieselfahrverbote aus, die vor allem weniger wohlhabende Menschen hart träfen. Die Kampagne der AfD bedient auch paranoide nationalistische Reflexe. In der Vergangenheit hatten AfD-Poli­tiker die EU-Vorgaben zur Reduktion von Emissionen einen »Vernichtungsfeldzug gegen unsere Automobilin­dustrie« genannt.