In Freundschaft entkoppeln
Über zu wenig Aufmerksamkeit konnte sich der AfD-Politiker Lars Steinke aus Göttingen in den vergangenen Monaten wahrlich nicht beschweren. Mehrfach hatten seine Aussagen bundesweit und parteiübergreifend für Empörung und Schlagzeilen gesorgt. In einem privaten Facebook-Eintrag beispielsweise hatte Steinke Anfang August den Hitler-Attentäter Claus Schenk von Stauffenberg als »Feigling« und »Verräter« bezeichnet. Stauffenberg sei »Feind des Deutschen Soldaten und der Zivildeutschen, damit Feind des Deutschen Volkes und damit auch mein Feind«, hatte Steinke sein »Urteil« verkündet, das der NDR im Wortlaut zitierte. Zwei Wochen später wurde Steinke als Landesvorsitzender der AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative« (JA) in Niedersachsen abgesetzt. Das Bundesschiedsgericht der JA habe einem Eilantrag des Bundesvorstands zur sofortigen Amtsenthebung stattgegeben, hieß es dazu seitens des Parteinachwuchses.
Jüngst wurde der Deutschen Welle eine Sprachaufnahme zugespielt, in der Steinke in geschichtsrevisionistischer Manier den Überfall der Nationalsozialisten auf Polen 1939 rechtfertigt. Es sei »Geschichtsfälschung«, das Geschehen als Angriffskrieg zu bezeichnen, »jeder andere Politiker hätte genau wie Hitler gehandelt und wäre einmarschiert«. Wieder gab es viel Kritik. Martina Renner (»Die Linke«) sagte dazu, Steinke sei kein Einzelfall und »schlicht und ergreifend ein Neonazi«. Er stehe »für all die extremen Rechten in der AfD, die die Partei ideologisch dominieren«.
Die Landesverbände Niedersachsen und Bremen der AfD-Jugend werden von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet.
Genau diesen Eindruck will die AfD derzeit tunlichst vermeiden. Der DPA zufolge soll Steinke zusammen mit den beiden Mitgliedern Andreas Kühn und Peter Hoppe aus Sachsen-Anhalt wegen rechtsextremer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen werden. Die Nervosität in der Partei wächst, denn man fürchtet eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die viele potentielle Wähler abschrecken könnte (siehe Seite 4). Seit Anfang September werden bereits die Landesverbände der AfD-Jugend in Niedersachsen und Bremen von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Die Organisation zeige eine »strukturelle Nähe« zum Rechtsextremismus, sagte Niedersachsens Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger der HAZ. Sie sprach von »ideologischen und personellen Überschneidungen« der JA mit der rechtsextremen »Identitären Bewegung« (IB) – Verbindungen, mit denen auch Steinke wiederholt aufgefallen war. Ähnlich wie Brandenburger begründet Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) die Beobachtung der JA im Stadtstaat. »Die Botschaften dieser Gruppe sind teilweise Rassismus pur«, sagte Mäurer auf einer Pressekonferenz am 3. September. Fast zeitgleich wurde die Wohnung eines Bremer JA-Mitglieds wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung durchsucht.
Als Reaktion auf die Maßnahmen des Verfassungsschutzes kündigte der Bundesvorsitzende der AfD-Nachwuchsorganisation, Damian Lohr, im September einen außerordentlichen Bundeskongress an. »Einziger Tagesordnungspunkt soll dabei – zum Schutze der Gesamtorganisation – die Abgliederung der JA-Landesverbände Bremen und Niedersachsen« sein, heißt es in einer Pressemitteilung. Mit der Abstimmung über die Auflösung dieser Landesverbände verbinde er die eigene Zukunft in der Jungen Alternative, so Lohr weiter. AfD-Bundessprecher Alexander Gauland schaltete sich ebenfalls ein, der Deutschen Welle zufolge schlug er vor, nur den seiner Meinung nach nicht mehr zu rettenden Landesverband Niedersachsen aufzulösen; in Bremen sei die Lage dagegen »nicht so klar«.
Gaulands Lageeinschätzung steht im Kontrast zu Recherchen antifaschistischer Bremer Gruppen und anderslautenden Medienberichten. Radio Bremens Regionalmagazin »Buten un binnen« zeigte schon in einem Fernsehbeitrag vom Juni 2017, dass der JA-Landesvorsitzende Robert Teske und sein Stellvertreter Marvin Mergard an einem Aufmarsch der IB in Berlin teilgenommen hatten. Auf Nachfrage behaupteten der AfD-Landesvorsitzende Frank Magnitz sowie die beiden Funktionäre, die Teilnahme sei rein »privat« gewesen. Die Online-Publikation »AfD Watch Bremen« schrieb zu derartigen Ausflüchten bereits vor einem Jahr treffend, dass der AfD nur daran gelegen sei, nicht wie die IB »vom Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt zu werden«.
Neben der Jugendorganisation geraten auch Landesverbände der AfD angesichts der möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz unter Druck. Hans-Thomas Tillschneider, Leiter der »Patriotischen Plattform«, eines Vereins von Anhängern des völkisch-nationalistischen AfD-Parteiflügels, gibt die strategische Richtung vor: Man solle sich in »Freundschaft von Gruppen entkoppeln, die zu Unrecht überwacht« würden. »Darunter fällt die Identitäre Bewegung«, schrieb Tillschneider in einer Stellungnahme unter dem Titel »Die Kernfrage«. Trennen müsse man sich von den »echten Verfassungsfeinden, also allen, die in Imitation der NSDAP-Herrschaft eine nationalistische Diktatur anstreben«, auch von »Lars Steinke, der Stauffenberg für einen Verräter hält«. Dem Spiegel zufolge plant der Landtagsabgeordnete, sein Büro im »Kontrakultur«-Haus der IB in Halle aufzugeben.
Die antifaschistische Initiative »Kick them out«, die sich gegen das rechtsextreme Zentrum richtet, sagte der Jungle World: »Der angebliche Auszug Tillschneiders ist nichts anderes als ein taktisches Manöver, sich selbst als weniger rechts darzustellen, als man ist. Hier wird keine Verbindung gelöst und nichts entflochten, hier wird nur Fassadenpolitik betrieben.«
Wie richtig die Initiative mit dieser Einschätzung liegt, bestätigt Tillschneider in seiner Stellungnahme selbst: »Trotz einer strukturellen Entflechtung halten wir aber selbstverständlich an allem fest, wofür wir stehen und wofür auch die IB steht.« Abschließend kündigte er in seiner Stellungnahme an, bei der nächsten Mitgliederversammlung der »Patriotischen Plattform« nicht mehr für den Vorsitz zu kandidieren und für die Selbstauflösung zu plädieren – »freilich, ohne einen Millimeter unserer Überzeugungen preiszugeben«. So verliere man nichts, nehme aber »den Feinden Deutschlands und den Feinden der Partei einen Ansatzpunkt«.