25.10.2018
Platte Buch - Karl Reitters »Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens«

Möglichkeiten von Befreiung

Der 2011 verstorbene Heinz Steinert war ein Universalgelehrter. Er studierte Philosophie, Psychologie, Germanistik und Literaturwissenschaft, absolvierte eine psychoanalytische Ausbildung, wurde im Fach Psycho­logie promoviert und habilitierte sich in Soziologie. Er war Mitbegründer und bis 2000 wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Rechts- und ­Kriminalsoziologie in Wien und von 1978 bis 2007 Professor für Sozio­logie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Nun ist eine Einführung in das Denken Steinerts, der mit ­seiner Arbeit immer auch die gesellschaftliche Emanzipation vorantreiben wollte, erschienen. Verfasst hat sie der Wiener Philosoph Karl Reitter.

Mit Adorno und der Frankfurter Schule hatte sich Steinert jahrelang beschäftigt. Während er trotz aller Kritik im Detail die Frankfurter Schule zum widerständigen Denken zählte, hielt er Max ­Webers zentrales Werk »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« für unwissenschaftlich. Reitter zeichnet in einem Kapitel die gravierenden Fehler nach, die Steinert Weber nachwies. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Kriminalsoziologen Steinert, der sich wissenschaftlich begründet für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse einsetzte und die Sinnhaftigkeit von Haft­strafen hinterfragte.

Dabei formulierte er Thesen, die gerade in der derzeitigen Law-and-Order-Stimmung erstaunlich aktuell sind: »Zwischen der Strenge der Strafen, der Anzahl der Menschen in Gefängnissen und der Summe der verübten Strafen besteht ein erkennbarer Zusammenhang. Weder die Höhe der Strafen noch die Wahrscheinlichkeit, ein­gesperrt zu werden, selbst die Todesstrafe verhindern Verbrechen.« Reitter schließt das informative Buch mit der Hoffnung, dass es dazu beitrage, »widerständiges Denken ­bekannter zu machen«. Das ist ihm zu wünschen.

Karl Reitter: Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens. Dampfboot-Verlag, Münster 2018, 213 Seiten