Platte Buch - Alina Bothe und Gertrud Pickhan (Hg.): »Ausgewiesen! Berlin, 28. 10. 1938. Die Geschichte der ´Polenaktion´«

Vor 80 Jahren

Kolumne Von

»Polnische Juden unter Einsatz von Schusswaffen über die Grenze ­gezwungen«, lautete am 30. Oktober 1938 eine Schlagzeile in der britischen Presse. Es ging um die Massendeportation von über 17 000 Juden, von denen manche Jahrzehnte in Deutschland gelebt hatten. Die unter der irreführenden Bezeichnung ­»Polenaktion« in die Geschichtsbücher eingegangene Entrechtung ­einer ganzen Bevölkerungsgruppe war das Vorspiel nicht nur zur Reichspogromnacht, sondern auch zur ­Shoah und ist doch heute weitgehend vergessen.

Im Metropol-Verlag ist unter dem Titel »Ausgewiesen! Berlin, 28. 10. 1938« ein Buch erschienen, das aufzeigt, wie die Judenvernichtung vor aller Augen vorbereitet wurde. So wird ­beschrieben, wie in einigen Städten die Juden auf dem Weg zur Deportation durch einen geifernden Mob geführt wurden, der sie beschimpfte und mit Gegenständen bewarf. Am Beispiel von 15 Familien wird dargestellt, was die Deportation für die Betroffenen bedeutete. In einem Kapitel beschreibt Christine Fischer-Defoy, wie Marcel Reich-Ranicki bis zu seinem Lebensende an den Erinnerungen seiner Deportation als Jugendlicher gelitten hat. Ein Großteil der Deportierten ist nur wenige Jahre später von den ­Nazis ermordet worden.

Fast alle Überlebenden mussten bei den bundesdeutschen Behörden um eine Entschädigung kämpfen, die oft abgelehnt wurde. Es sei weder glaubhaft noch nachgewiesen worden, dass Martin Merory nationalsozialistischen Verfolgungsmaß­nahmen ausgesetzt gewesen sei, befand die Entschädigungsstelle im März 1968. Im letzten Kapitel wird auf die spontane Solidarität in der polnischen Grenzstadt Zbąszyń eingegangen, wo viele der Deportierten die ersten Wochen untergekommen sind. In der Stadt setzt man sich anders als im Land der Täter auch 80 Jahre später mit diesem Verbrechen aus­einander.