Der von den USA angekündigte Truppenabzug aus Afghanistan

Abzugsalarm in Afghanistan

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Der Afghanistan-Krieg ist renommierten Think Tanks wie der International Crisis Group und dem US-amerikanischen Council on Foreign Relations zufolge inzwischen wieder der tödlichste weltweit. Dem Datensammelprojekt ACLED zufolge verzeichnete Af­ghanistan mit mehr als 41 000 Kriegsopfern im vergangenen Jahr 30 Prozent aller Kriegsopfer weltweit, den höchsten Anteil. Die Uno ermittelte – mit konservativer Herangehensweise – bis Oktober allein 8 000 zivile Opfer; die Zahl der Opfer der afghanischen Streitkräfte liegt mindestens doppelt so hoch. Für die Verluste der Taliban und des lokalen Ablegers des »Islamischen Staats« gibt es keine verlässlichen Zahlen, aber sie dürften ebenfalls beträchtlich sein.

Politisch und strategisch ist selbst ein Teilabzug von US-Truppen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll. Immerhin hat Trump gerade einen Sonderbeauftragten geschickt, um mit den Taliban über ein Ende des Kriegs und danach über einen Truppenabzug zu ­verhandeln. Zalmay Khalilzad, selbst afghanischer Herkunft, passt als geschäftsorientierter Neokonservativer aus der Rand-Stiftung eigentlich gut zu Trump. Er war Anfang der nuller Jahre dafür verantwortlich, dass in Afghanistan von den Taliban entmachtete Warlords politisch rehabilitiert wurden und einen Löwenanteil der Macht übernehmen konnten. Seitdem hat er sich mit einem Consulting-Unternehmen eher um den Zugriff auf afghanische Gas-, Öl- und Kupfervorkommen gekümmert, deren Ausbeutung die afghanische Regierung an chinesische Investoren vergeben hat. Publikationen von Khalilzads Mitarbeitern zufolge stehe dies aber US-Amerikanern zu, die ja immerhin »Blut und Geld« in Af­ghanistan investiert hätten. Bereits die Ankündigung eines möglichen Teilabzugs durch Trump schwächte deutlich die Verhandlungsposition der USA und die der lokalen US-Verbündeten beziehungsweise Klienten der afghanischen Regierung unter Präsident Ashraf Ghani und Regierungschef Abdullah Abdullah.

Einiges hängt davon ab, welche Einheiten genau Trump abziehen will. Sondereinheiten und ähnlich kämpfende Truppenteile werden wohl im Land bleiben. Ein Bericht der New York Times machte jüngst allerdings deutlich, dass diese Truppen und verbündete afghanische Milizen, die völlig außerhalb der einheimischen Kommandostrukturen agieren, mit Gewalttaten gegen Zivilisten weiter viele Afghanen den Taliban in die Arme treiben.

Wahrscheinlich wird die US-Regierung eher die Ausbildungsmission verkleinern und darauf drängen, dass ­andere Nato-Staaten diese Aufgaben übernehmen. Deutschland und Großbritannien zum Beispiel haben bereits angekündigt, dass sie das nicht vorhaben. Dem US-Militärexperten Jonathan Schroden zufolge werden die afghanischen Streitkräfte »wenigstens für fünf bis zehn Jahre« nicht ohne internationale Hilfe und Beratung auskommen.

Politisch kann schon eine Abzugsankündigung einen Dominoeffekt aus­lösen. Die afghanischen Milizen und die Kommandeure und Warlords an ihrer Spitze sind aus der 40jährigen Kriegsgeschichte des Landes dafür bekannt, dass sie schnell politische Kehrtwenden vollziehen können, wenn sie sich auf der Verliererseite wähnen. Ideologisch stehen viele von ihnen sowieso den ­Taliban näher als den jungen, gebildeten Afghaninnen und Afghanen.

Auch die mittlerweile auf Juli verschobene Präsidentschaftswahl könnte in politischem Chaos untergehen. Die Taliban können sich zurücklehnen und warten, ob die afghanische Regierung zerfällt.