CBD - Das Geschäft mit dem Rausch ohne Rausch

Badewanne für die Seele

Der Hype um Cannabidiol (CBD), eine kaum psychoaktive Variante von THC, zeugt vom konformistischen Bedürfnis nach dem Rausch ohne Reue und vom Wunsch, ohne Angst zu leben.

Cannabis ist, so viel sollte bekannt sein, eine Gattung der Hanfgewächse und als Nutz- und Heilpflanze fast so alt wie die Menschheit selbst. Sie enthält mindestens 60 Cannabinoide. Einige dieser Substanzen, die aus der weiblichen Pflanze gewonnen werden, wirken psychoaktiv, wie das allseits beliebte THC, andere dagegen weniger oder nicht. CBD, das brave Mädchen in der Cannabis-Familie, ist eine solche Substanz, die allenfalls ein physisches High erzeugt. Ungeachtet dessen, dass es sich gewissermaßen um einen entkoffeinierten Latte Macchiato handelt, hat die so mächtige wie vielfältige Nummer zwei der Cannabinoide bereits zahlreiche Anhänger, Tendenz steigend. Eine schmerzlindernde und entzündungshemmende Wirkung wird CBD nachgesagt. Die Charité Berlin erforscht derzeit in einer großen Studie sogar dessen antipsychotische Effekte. Dennoch befinden sich einige CBD-Produkte hierzulande noch immer in einer rechtlichen Grauzone. Während in Berlin Einzelhändler, die CBD in Blüten feilbieten, ungebetenen Besuch von Team Green bekommen, sind die US-Amerikaner viel weiter.
Nachdem CBD im Bericht eines Expertenkomitees der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im November 2017 als ungefährlich und medizinisch wertvoll eingestuft wurde, beendete US-Präsident Donald Trump mit der Unterzeichnung der Farm Bill im Dezember 2018 die Hanfprohibition in den USA. CBD mutierte, so Alex Williams in einem Artikel für die New York Times, von einem Fidget Spinner für Kiffer zu einem omnipräsenten Heilmittel im kulturellen Zentrum der amerikanischen Nation.

Anders als die psychedelischen Drogen der Hippie-Ära verspricht CBD nur noch eine verbesserte Anpassung.

Wie der Bitcoin in seiner Blütephase sorgt CBD in den USA für eine Goldgräberstimmung, die nicht zuletzt auch deutsche Cannabiskapitalisten angesteckt hat. Öle, Schönheitsprodukte, Superfood, sogar Hundefutter – den Produzenten scheint kein Marktsegment zu abwegig zu sein. CBD werde, so Williams, nicht nur unter Millennials, sondern auch bei deren Eltern immer beliebter, die Zielgruppe sei die kreative, auf Distinktion durch Drogenkonsum zielende, kaufkräftige Klasse. Die Preise haben es nämlich in sich. Dementsprechend kursieren Prognosen in der Branche, die dem CBD-Umsatz in den nächsten Jahren exponentielles Wachstum prophezeien.

Neben der geradezu mythischen Sehnsucht nach einem Allheilmittel ist der Hype besonders auf die ausgleichende Wirkung von CBD zurückzuführen, die in den Narrativen der Händler dominiert: »Es ist, als würde man ein warmes Bad nehmen, das alle Anspannung auflöst«, zitiert Williams einen New Yorker CBD-Entrepreneur. Cannabidiol, erklärt das Portal »Leafly«, aktiviere Rezeptoren im menschlichen Endocannabinoid-System, die Ängste lindern können, indem sie Herzfrequenz, Blutdruck und Serotoninspiegel positiv beeinflussen. Bereits 2004 attestierte eine in Brasilien durchgeführte Studie CBD angsthemmende Effekte. Seitdem wird die erstmals 1963 vom Biochemiker Raphael Mechoulam in Israel synthetisierte Substanz als Alternative zur konventionellen Medikation bei Panikattacken diskutiert.

Angesichts dieses vielversprechenden Anwendungsbereichs fragt Williams, ob CBD nicht sogar als Mittel gegen das 21. Jahrhundert bezeichnet werden sollte. Jede Ära habe ihre eigene seelische Krankheit, Therapie und Droge. Was dem Sozialhistoriker Patrick Kury zufolge um 1880 die Neurasthenie und in den fünfziger Jahren die »Managerkrankheit« war, ist heute das Burnout im Hamsterrad der Selbstoptimierung.

Dazu gesellt sich, wie Williams ausführt, wieder einmal die Angst angesichts unsicherer Zeiten. Den Boom des CBD deutet er darüber hinaus als Ausdruck des Vertrauensverlustes in die traditionelle Schulmedizin. Diese Entwicklung treffe auf eine Obsession für Wellness und Selbstsorge sowie den unaufhaltsamen Siegeszug einer Cannabisindustrie, die gegenwärtig weniger mit »Lammbock« denn mit »Wolf of Wall Street« zu tun hat. Um jene Skeptiker zum Schweigen zu bringen, die in CBD nur das neue Schlangenöl sähen, so schließt Williams, müssten Fakten und Fiktionen in Zukunft sorgfältig voneinander getrennt werden.

Zur Kritik der Ideologie, ohne die CBD nicht zu haben ist, kann ein Blick zurück in die Geschichte des Drogenkonsums beitragen. Während sich Drogen allmählich von Popmusik und Subkultur entkoppelten, passte sich ihr Konsum, so der Herausgeber Robert Feustel in einem Beitrag für das »Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive« (2019), dem gesellschaftlichen Trend zum unternehmerischen Selbst an. Der Drogenkonsum diene nunmehr dem Ausgleich oder der Steigerung von Präsenz und Kreativität, immer im Sinne spätkapitalistischer Selbstoptimierung. »Während Drogenkonsum in den 1960er- und 1970er Jahren mitunter Teil einer widerständigen Haltung war«, hing die Messlatte Mitte der neunzig Jahren Feustel zufolge schon deutlich niedriger. Durch Techno und Ecstasy sollten dem Kapitalismus immer wieder kleine Siege abgerungen werden. Ihre Work-Life-Balance hätten die Protagonisten dieser Phase aber schon damals nicht aus den Augen verloren: Wer feiern kann, der kann auch arbeiten.

Anders als die psychedelischen Drogen der Hippie-Ära verspricht CBD nur noch eine verbesserte Anpassung. Anders als Alkohol und THC, die CBD als »drug of choice« verdrängen oder zumindest ergänzen könnte, befriedigt es das von veränderten Arbeitsverhältnissen präformierte Bedürfnis nach einem Rausch ohne Reue, ja nach Rausch ohne Rausch. Feustel verweist auf das komplementäre Verhältnis von Genuss und Arbeit im Neoliberalismus, auch darauf, dass beide teilweise in eins fallen.

Genuss werde zur Pflicht und die Arbeit selbst zum alltäglichen Exzess, so dass der Konsum sein subversives Moment verliert. CBD-Konsumenten, die sich nicht einmal mehr den Rausch mit reflektierter Distanz genehmigen, der die neunziger Jahre prägte, begreifen den Konsum als Heilkur auf eigene Rechnung, die ein reibungsloses Funktionieren gewährleisten soll. Als Substanz, die noch nicht einmal psychisch abhängig macht, ist CBD die Droge gewordene Kontrollgesellschaft, nur noch Ausdruck des herrschenden Elends und nicht mehr zugleich Protest dagegen. Die beschädigten Subjekte hoffen auf Heilung, wollen dabei offenbar aber Gesetz und gesellschaftliche Verkehrsregeln nicht überschreiten.
»Die zunehmende Nachfrage nach den Dienstleistungen gewerbsmäßiger Lebenszuhälter« zeigt, wie Joachim Bruhn bereits 1984 schrieb (»Unter Zwischenmenschen. Bhagwan Shree Rajneesh und die Verwandlung der bürgerlichen Gesellschaft zur therapeutischen Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit«), einen Zustand an, in dem die Menschen händeringend nach etwas suchen, um ihr ungelebtes Leben auszuhalten, es ist eine Suche »nach den Geheimnissen ihrer seelischen Balance am gesellschaftlichen Abgrund«. Ursachenforschung wie bei Williams und Feustel kratzt nur an der Oberfläche, wenn man Arnold Schmieders »Kritische Theorie der Drogen«, ebenfalls im »Handbuch« erschienen, kontrastiert.

Ob Selbstoptimierung, Eskapismus oder Protest, alle diese Motive sind ihm zufolge vom falschen Ganzen geprägt. Die von Feustel unterstellte Integration qua Drogenkonsum schlägt im autistischen Gebrauch von CBD in Desintegration zurück – auch weil die antagonistische Gesellschaft Schmieder zufolge von einem Konsum perpetuiert wird, der nach Unmittelbarkeit sucht, obwohl er selbst so offensichtlich vermittelt ist. Während gegen Staat und Kapital kein Kraut gewachsen zu sein scheint, ist auch CBD durchaus mit dem Glücksversprechen verknüpft, ein »schwindelhaftes Versprechen von Glück, das anstelle des Glücks selber sich installiert« (Adorno).

Als verordnetes und verlogenes Glück würde es für Adorno jedoch auch sein Gegenbild bergen: das von Schmieder zitierte Glück, »das Unglück zu erkennen«, und als zum Lifestyle stilisierte Selbstmedikation die Sehnsucht nach einem Leben ohne Angst.