Bitte nicht füttern

Bittere Pillen

Sitz! Platz! Sitz! Platz! Die Zeitumstellung wird abgeschafft.
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Frühling. Zeit, etwas fürs Insektensterben zu tun, Zeit für die Zeckentablette. Falsch! Es handelt sich bei Zecken gar nicht um Insekten, sondern um Spinnentiere, aber Insektizide helfen trotzdem – dem Hund. Problem: Die Tablette schmeckt der Coco gar nicht und zäh zu kauen ist sie auch. Leider ist der Hund für vernünftige Argumente nicht zugänglich, daher muss man ihn manipulieren. Also ein paar Übungen: Sitz! Platz! Sitz! Platz! Coco pariert. Und nun, als Belohnung, hehe, die Tablette. Oh, wie sich das Tierchen freut, wie es dankbar kaut. Das kommt Ihnen bekannt vor? Ja, wir sind in Deutschland, wo man Menschen für astronomische Summen fahle Stängel aus dem Sand verkaufen kann, weil sie – gerade wegen der bizarren Preise und des fragwürdigen Geschmacks – überzeugt sind, es seien Delikatessen.

Wie »falsches Bewusstsein« (Marx) produziert wird, können wir in Echtzeit bei der Debatte über die Zeitumstellung mitverfolgen: Nachdem eine zweifelhafte Meinungsumfrage in Europa, an der fast nur Deutsche teilnahmen, irrerweise zu dem Beschluss des EU-Parlaments führte, die Zeitumstellung 2021 abzuschaffen, haben die Gegner der Sommerzeit nun das Problem, diesen ihren ersten Erfolg als demokratisch legitimiert zu preisen, während sie gleichzeitig das zweite Ergebnis derselben Umfrage, nämlich die dauerhafte Sommerzeit einzuführen, negieren müssen. Wenn das tak­tische Verhältnis zur Demokratie aufzufliegen droht, hilft nur Diskurs­feuerwerk.

Zunächst ein paar »Informationen« streuen, etwa: Zeitumstellung im Frühling, das bedeutet »eine Stunde weniger Schlaf« (Bild). Das stimmt natürlich nur, wenn man ein dermaßen reguliertes, zwanghaftes Leben führt, das es einem unmöglich ist, mal eine Stunde früher ins Bett zu gehen oder am Sonntag mal ein bisschen länger zu schlafen. Darum folgt das Framing: Statt von »Winterzeit« reden die Gegner heller Sommerabende nun beharrlich von »Normalzeit«, denn Normalität lieben die Deutschen. Normal sei es, um vier Uhr morgens aufzustehen, um Punkt Mittag folgt der Leistungshöhepunkt und nach der Arbeit geht es schnell nach Hause und ab ins Bett. Unerlässlich: Internet füttern – der WDR stellt die Erklärvideos bereit. Das Wort »Gesundheit« benutzen, wenn Leistungsfähigkeit gemeint ist – natürlich eine Leistung, die bitteschön in der Arbeits-, nicht in der Freizeit zu erbringen sei. Jetzt der Clou: dies den Leuten nicht als ihre Pflicht, sondern als ihr Recht andrehen, so wie ich es mit Coco und der Zeckenpille mache. Zuletzt müssen noch ein paar Wissenschaftler ins Spiel kommen. Mindestens aber Harald Lesch. Rasch irgendeine eine Studie angeführt, in der zumindest eine richtige Zahl steht, diese zitieren, fertig ist der Faktencheck.

Coco kann so etwas übrigens auch und lässt mich glauben, ich sei es, der mit ihr spazieren gehe.