Ökonom Ahmad Alavi über die Sanktionen gegen den Iran und den »grauen Markt« für iranisches Öl

»Der Iran hat keinen effektiven Wirtschaftsplan«

Erst das Erdöl und nun die Metallindustrie und der Bergbau: US-Präsident Donald Trump hat erneut Strafmaßnahmen gegen das iranische Regime verhängt. Der Erdölsektor macht rund ein Fünftel der iranischen Wirtschaftsleistung aus, 40 Prozent der Einnahmen der Regierung stammen aus dieser Branche. Über die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der Sanktionen sprach die »Jungle World« mit dem in Stockholm lehrenden iranischen Wirtschaftswissenschaftler Ahmad Alavi.
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Internationale Institutionen wie der IWF, die Weltbank und die Vereinten Nationen haben prognostiziert, dass der Iran in diesem Jahr mit ­einer geschätzten Inflationsrate bis zu 50 Prozent und steigender Arbeitslosigkeit rechnen müsse, das Wirtschaftswachstum soll sich erheblich ­verringern. Ist das ein Resultat der neuen Sanktionen der USA?
Die Sanktionen sind ein Faktor, aber nicht der einzige. Ineffizientes Management, die weitverbreitete Korruption und strukturelle Probleme in der iranischen Wirtschaft sind die Hauptursachen der derzeitigen Wirtschaftskrise. Die Sanktionen sind nicht an allem Schuld, obwohl einige politische Strömungen im Iran versuchen, sie als Auslöser der iranischen Wirtschaftskrise darzustellen. Andere Ström­ungen sehen ausschließlich das ineffiziente Management als die Ursache der Misere. Die Regierung begründet die Krise natürlich nur mit den Sanktionen. Das ist nicht richtig. Wir haben institutionelle und strukturelle Probleme im Iran. Die Quelle des iranischen Wirtschaftswachstums ist keine interne, sondern eine externe: Der Iran verdient sein Geld durch den Verkauf von Öl. Auf der anderen Seite ist die iranische Wirtschaftspolitik nach innen gerichtet. Im Iran tätige Banken und Unternehmen haben an den internationalen Märkten keinen nennenswerten Anteil. Wir haben keine bedeutenden Produkte auf dem Weltmarkt anzubieten. Außerdem ist die iranische Wirtschaft keine Marktwirtschaft, sondern eine Kommandowirtschaft, die noch immer recht zentralisiert ist und zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle steht. Eine solche Wirtschaft ist sehr anfällig für Sanktionen. Es wird daher ­erwartet, dass sich die im letzten Jahr begonnene iranische Wirtschaftskrise in diesem Jahr noch weiter verstärkt.

Welche Rolle spielen die Sanktionen bei der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Iran?  
Das genaue Ausmaß der Auswirkungen der Sanktionen ist mit den vorhandenen Statistiken nicht zu erkennen. Aber man kann davon ausgehen, dass der Anteil der internen Probleme der iranischen Volkswirtschaft größer sind als die externen Faktoren. Wenn wir das mit China oder den Vereinigten Staaten von Amerika vergleichen, die einen hohen Anteil nationaler Produktion haben und einen großen Umsatzanteil auf den internationalen Märkten, wird deutlich, dass es sehr schwierig wäre, solche Länder zu sanktionieren.

Wirkt sich auch die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) als ausländische Terroror­ganisation auf die Wirtschaft aus?
Ein großer, aber quantitaiv nicht spezifizierbarer Teil der iranischen Wirtschaft befindet sich in den Händen der Revolutionsgarden. Die Entscheidung, sie nun als Terrororganisation einzustufen, schadet zwar der iranischen Wirtschaft, ist aber eher politisch. Die wirksamsten Sanktionen richten sich noch immer gegen Ölexporte und Banken.

Die hohe Inflationsrate und die ­zunehmende Arbeitslosigkeit haben die iranische Gesellschaft unter Druck gesetzt. Viele Proteste und Demonstrationen in den vergangenen Jahren hatte wirtschaftliche Hintergründe. Welche politische Folgen kann es haben, wenn sich die Wirtschaftskrise weiter verschärft?
Einige der Demonstrationen in letzter Zeit prangerten die Lohnrückstände an, die zu einem Rückgang von Einkommen und der Kaufkraft führten. Dazu kommen noch erhebliche Probleme mit der Kor­ruption. Damit die Proteste zu einer großen Bewegung werden können, bedarf es vor allem einer gemeinsamen Or­ganisation. Um stabil und dauerhaft etwas zu bewirken, sollten diese Bewegungen in der Lage sein, solidarisch zu agieren und Gemeinsamkeiten herauszu­stellen. Wegen der Repression und des Mangels an einer starken und zusammenhaltenden Zivilgesellschaft scheint es jedoch kaum möglich, dass diese kleinen Bewegungen sich auf gemeinsame Ziele einigen und zusammenschließen werden. Zumindest bis jetzt ist eine solche Vereinigung nicht zu spüren.

Können Sanktionen und wirtschaftlicher Druck die politische Struktur des Iran verändern?
Die Sanktionen gehen definitiv zu Lasten des Regimes, aber es fehlt noch etwas Wichtiges, wenn wir uns zum Vergleich frühere Sanktionen zum Beispiel in Südafrika ansehen: Das ist ein Land, in dem es soziale Bewegungen gibt oder gab. Daher haben diese Sanktionen den Strukturwandel auch vorangetrieben. Man kann sagen, dass soziale Bewegungen Sanktionen als politisches Mittel vervollständigen und beide im Zusammenspiel die Strukturen verändern können. Es gibt aber auch andere Beispiele wie das ehemalige Jugoslawien. In Abwesenheit einer sozialen Bewegung, die die Menschen unterstützt, können solche Sanktionen die Infrastruktur zerstören und das Land noch ärmer machen. Ohne eine starke und stabile soziale Bewegung sind Sank­tionen nur schädlich.

Was bedeutet die Verschärfung der Wirtschaftskrise für Präsident Hassan Rohani?
Es wird deutlich, dass sich die Regierung von Rohani nicht sehr stark von früheren Regierungen unterscheidet.

Auch nicht von der Ahmadinejads?
Aus politischer Sicht unterscheiden sie sich nicht. Rohanis Regierung ist wie ihre Vorgängerinnen eine populistische Regierung. Wie die Regierung zuvor hat auch diese Regierung ein Problem mit Rent-Seeking, also mit dem Versuch von Gruppen und Einzelpersonen, sich durch staatliche Eingriffe in den Markt Ressourcen anzueignen. Rohani wollte die wirtschaftlichen Probleme des Landes nicht durch wirtschaftliche Effizienz lösen, sondern nur durch das Atomabkommen. Die wirtschaftliche Erholung im Iran sofort nach dem Atomabkommen hing daher nicht mit der Effizienz der Regierung zusammen. Der einzige Versuch der Regierung, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, bestand darin, mit dem Westen zu verhandeln, aber sie verfügte über keinen effektiven Wirtschaftsplan. Im ersten Jahr nach dem Abkommen wurde ein gutes Wirtschaftswachstum erzielt. Aber jetzt, mit dem Scheitern des Nuklearab­kommens, zeigt sich, dass sich die Regierung in ihrem Wirtschaftsplan kaum von ihren Vorgängerinnen unterscheidet. Solange die Macht im Iran nicht besser verteilt ist, können wir auch keine gerechtere Vermögensverteilung erwarten. Wenn es keine rechtliche und politische Gleichheit gibt, ist wirtschaftliche Gleichheit bedeutungslos.

Der Iran hat auch gedroht, aus dem Atomabkommen auszusteigen. Kann Rohani das tun?
Der Iran wird wohl nicht aus dem Atomabkommen aussteigen, weil dieser Ausstieg für das Land erhebliche politische Kosten hätte. Sollte der Iran vom Abkommen zurücktreten, würden sich die Europäer sofort mit den USA gegen den Iran verbünden. Daher wird es mindestens symbolisch beim Nuklear­abkommen bleiben.

Seit dem 1. Mai droht US-Präsident Donald Trump allen Staaten mit Sanktionen, die weiterhin iranisches Öl kaufen. Die Ausnahmeregelung, die einigen Ländern bislang die Einfuhr iranischen Öls ohne Strafandrohung ermöglichte, wurde zum 2. Mai aufgehoben. Wäre es möglich, die iranischen Ölexporte auf null zu bringen?
Ölexporte eines Landes können nicht auf null gebracht werden, denn es wird immer Möglichkeiten geben, Öl zu schmuggeln. Um einem Erdölexportland Schaden zuzufügen, braucht man die Exporte aber auch nicht so drastisch zu reduzieren. Es reicht schon aus, die Öleinnahmen um 50 Prozent zu senken. Das würde die Wirtschaft des Landes bereits stören. Offensichtlich gehen die Ölexporte des Iran stark zurück und die Öleinnahmen können aufgrund von Banksanktionen nicht an den Iran zurückgegeben werden. Der IWF sagt einen Rückgang der ­Wirtschaftsleistung um sechs Prozent ­voraus.

Anfang Mai behauptete der stellvertretenden iranische Ölminister Amir Hossein Samaninia, der Iran wolle sein Öl künftig auf dem »grauen Markt« verkaufen. Dieser sei kein illegaler Markt. Was genau ist dieser »graue Markt«?
Die iranischen Behörden selbst sind nicht bereit, das aufzuklären, weil dann ihre Gegner ihre Bedingungen einsehen könnten. Im Allgemeinen kann man jedoch sagen, dass dieser Markt einer ist, auf dem Händler das Öl direkt oder indirekt zu einem sehr niedrigen Preis kaufen und weiterverkaufen. Sie zahlen ihr Geld in bar oder auf andere Weise. Dieser Markt wird »grau« genannt, da er nicht von Institutionen überwacht wird, die normalerweise Ölexporte überwachen, und auch nicht von der Opec. Die Frage ist aber, wie hoch dann die Erlöse aus diesem Ölverkauf sind. Die Regierung hat für den Ölverkauf auf diese Weise viel zu zahlen, wie Frachtkosten und Versicherungen. Man kann voraussagen, dass die Öleinnahmen der Regierung rasant sinken werden. Die Einnahmen aus dem grauen Markt können die wirtschaftlichen Probleme des Iran nicht lösen.