Betrüger im Sport

The Queen of Sprint

Seite 3 – Überraschung bei der Leichenschau

Stella Walsh. Geboren 1911 als Stanis­ława Walasiewicz in Polen, wanderte sie mit ihren Eltern vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die USA aus, wo sich die Familie in Ohio niederließ und ihren Namen in Walsh änderte. Die junge Stella zeigte schon früh eine Begeisterung für Leichtathletik, vor allem fürs Laufen, und verfolgte zielstrebig eine sportliche Karriere, obwohl sie von Mitschülerinnen gerne wegen ihres masku­linen Aussehens gehänselt wurde.

Trotz aller Anfeindungen schaffte sie es an die Spitze des amerikanischen Frauensports und als 1932 die Olympischen Spiele von Los Angeles bevorstanden, wollte sie dort für die USA antreten. Stella hatte jedoch nicht genug Geld oder Sponsoren, und so trat die polnische Botschaft mit dem Vorschlag an sie heran, doch für Polen an den Spielen teilzunehmen. Sie nahm das Angebot an und gewann Gold im 100-Meter-Lauf der Frauen. In der US-amerikanischen Presse wurde sie dafür so sehr angefeindet, dass sie für ein Jahr nach Warschau übersiedelte.

Vom Heimweh zur Rückkehr getrieben, wurde sie in Ohio mit offenen Armen empfangen und gewann etliche Läufe, was ihr in Zeitungen den Ehrentitel »The Queen of Sprint« eintrug. 1936 trat sie bei den Olympischen Spielen in Berlin erneut an, unterlag aber der US-Amerikanerin Helen Stephens und wurde nur Zweite. Als Gerüchte in Umlauf gebracht wurden, Stephens sei eigentlich ein Mann, musste sich die ­Siegerin einer medizinischen Untersuchung unterziehen, bei der herauskam, dass sie tatsächlich eine Frau war.

Stella Walsh

Wäre hingegen Stella Walsh untersucht worden, hätten die Ärzte eine Überraschung erlebt. Ende der dreißiger Jahre zog sie sich vom Spitzensport zurück und betätigte sich vor allem als Trainerin und Nachwuchsfördererin. Sie heiratete den ehemaligen Boxer Harry Olson, doch die Ehe hielt nicht allzu lang. 1980 wurde Walsh auf einem Parkplatz in Cleveland von bewaffneten Räubern überfallen. Sie wehrte sich, Schüsse fielen und Walsh brach tot zusammen. Während der Obduktion entdeckte der Leichenbeschauer dann, dass Walsh keine weiblichen Sexualorgane hatte, aber einen unterentwickelten Penis. In den Medien entbrannte eine heftige Debatte darüber, ob Walsh die Öffentlichkeit getäuscht und ihre Medaillen zu Unrecht erhalten hätte. Das Olympische Komitee entschied sich jedoch gegen eine Aberkennung ihrer Titel, da während ihrer aktiven Zeit keine biologischen Gender-Einteilungen von Athleten vorgenommen worden seien.

Jener Leichenbeschauer, der Walsh untersucht hatte, brachte es vielleicht am besten auf den Punkt: »Sozial, kulturell und juristisch wurde Walsh 69 Jahre lang als Frau akzeptiert. Sie lebte und starb als Frau.« Genau genommen gehört Stella Walsh nicht in eine Auflistung mit Tricksern, da sie niemanden absichtlich hinters Licht führte. Man könnte sie eher als unabsichtliche Botschafterin für ein besseres Verständnis und eine größere Akzeptanz intersexueller Menschen bezeichnen.

Dies ist der dritte Teil unserer Serie über Hochstapler und Prankster im Sport. Hier gehts zu Teil 1, Teil 2, und Teil 4.