US-Partydroge Kin

Ekstase und Selbstzurichtung

Ein neues Getränk aus New York verspricht rauschhafte Nächte ohne Kater am nächsten Morgen. Sich wegballern und arbeitsfähig bleiben? Der Kapitalismus hat sich seine perfekte Droge geschaffen.

Produkten wie Bier ohne Alkohol, Kaffee ohne Koffein und Schokolade ohne Zucker verweisen, so der slowenische Philosoph Slavoj Žižek, auf einen immanenten Widerspruch gegenwärtiger Konsumkultur. Auf der einen Seite steht der Druck, sich zu amüsieren, auf der anderen der Zwang, dem Markt einen gesunden Körper zur Verfügung zu stellen. Auf diesen Widerspruch reagieren Lifestyle-Produkte, die vorgeblich einem selbst (und dem Planeten) guttun, während sie in Wirklichkeit Produkt eines Wirtschaftssystems sind, das die Zukunft unserer Spezies gefährdet.

Der interessante Wirkstoff in Kin ist Phenibut, den sowjetische Wissenschaftler für die bemannte Raumfahrt entwickelten.

Diese Vermarktungsstrategie verfolgt auch ein neues Getränk aus New York namens »Kin«. Es wird als Alternative zu Alkohol beworben und verspricht »Glückseligkeit in der Nacht« ohne den Kater am nächsten Morgen. Und das für 39 Dollar für 500 Milliliter in der Variante »Kin High Rhode« – also insgesamt mehr, als im Online-Versand ein dreiviertel Liter zehnjähriger Laphroaigwhisky von der schottischen Insel Islay kostet.

Kins Erfinderin Jen Batchelor sagt, das Getränk wirke entspannend und euphorisierend – es versetze einen kleinen Kick. Die von ihr mitbegründete Firma Kin Euphorics setzt bei der Vermarktung auf den »Wellness-Charakter« des Getränks. Auf der Internetseite der Firma heißt es, die enthaltenen Wirkstoffe wirkten beruhigend auf das Nervensystem.

Sinn des Saufens

Kin enthält Nootropika, besser bekannt als smart drugs, welche die Gehirnfunktionen verbessern sollen. Dabei sollte man meinen, Sinn des Saufens sei es, die Gehirnfunktionen auszuschalten. Zu den besagten Stoffen zählt das in Kin enthaltene Citicolin, das gegen Demenz eingesetzt wird. So ist auch die erprobte Kulturtechnik, zu trinken, um zu vergessen, mit Kin wohl eher nicht zu haben.

Das ebenfalls in Kin enthaltene Neotropikum 5-HTP hilft dabei, den Serotoninspiegel auf lange Sicht zu erhöhen, und kann somit stimmungsaufhellend wirken und gegen Stress helfen. Aber eben auf lange Sicht. Es macht einen nicht high. Wie man damit einen Kneipenabend bei reichlich Bier und Schnaps ersetzen soll, erschließt sich nicht.

Der einzig in dieser Hinsicht interessante Wirkstoff in Kin ist Phenibut. Wissenschaftler in der Sowjetunion entwickelten ihn in den sechziger Jahren als Antidepressivum für die bemannte Raumfahrt. Die sowjetische Regierung empfahl ihren Kosmonauten, Phenibut zu nehmen, weil es zugleich beruhigend und stimulierend wirkt.

Zwar ist inzwischen hinlänglich klar, dass von der Sowjetunion lernen nicht immer bedeutet, siegen zu lernen, aber Phenibut hält sich munter. Es spielt bis heute eine Rolle im postsowjetischen Nachtleben, vor allem in der bis weit über die Landesgrenzen berühmten Clubszene im georgischen Tiflis. Dies fand im August vorigen Jahres die Jungle World bei Recherchen über Georgiens sogenannte Techno-Revolution heraus. Wegen der äußerst restriktiven Drogenpolitik wird Phenibut dort als Alternative zu anderen Rauschmitteln konsumiert.

Marktkonformer Rausch

In einer hohen Dosierung macht es zunächst einmal sehr müde. Nach einigen Stunden setzt dann eine euphorisierende Wirkung ein, die zwar nicht besonders stark ist, aber mehr als 24 Stunden anhalten kann. Phenibut sollte den Kosmonauten die Angst vor der Weite des Weltalls nehmen. Und so ähnlich funktioniert es auch im Club: Konsumenten berichteten der Jungle World davon, angstfreier, kontaktfreudiger und gesprächiger zu werden. Auch für Bodybuilder hat der Stoff zahlreiche interessante Wirkungen. So stimuliert es die Wachstumshormone des Menschen und ist in einigen Nahrungsergänzungsmitteln erhalten. Allerdings setzt Phenibut auch der Leber schwer zu, macht schnell abhängig und führt zu schweren Entzugserscheinungen – ähnlich wie Alkohol. Wirklich gesünder ist es daher nicht.

Nur ist Phenibut in Kin angeblich nur in sehr geringen Mengen enthalten. Es ist wohl wie bei Homöopathie – was nicht wirkt, hat auch keine Nebenwirkungen.

Der Wunsch, den Nebenwirkungen von Alkohol, anderen Drogen oder auch nur Süßspeisen – sprich Kater oder Fresskoma – zu entgehen, der besagte »Rausch ohne Reue«, den Kin verspricht, gehört zur marktkonformen Selbstzurichtung. Noch nicht einmal für eine Nacht und den darauffolgenden Katertag soll man sich dem Zugriff des Arbeitslebens entziehen können.

Es hat gute Gründe, dass man sich für die Kneipe statt für das Wellness-Center entscheidet. Denn ein Rausch ohne Kater ist keiner.