George Herrimans »Krazy Kat«

Die Katze, die eine Maus liebte

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Gefangen zwischen Begehren und Enttäuschung beklagt sich Krazy Kat in einem Strip aus dem Jahr 1925 in seinem eigentümlichen, verspielten Englisch über sein schweres Doppel­leben: »Oy, it’s awful for be lidding a dubbil life«. Es ist eine Anspielung, die weit über die »Krazy Kat«-Reihe hinausweist: Erst 1971, knapp 30 Jahre nach seinem Tod, wurde bekannt, dass der 1880 in New Orleans geborene Herriman einen afroamerikanischen Hintergrund besaß. Der US-amerikanische Soziologe Arthur Asa Berger hatte die Familiengeschichte für einen Eintrag über Herriman in das »Dictionary of American Biography« recherchiert. Die Eltern waren mit dem damals zehnjährigen George und dessen Bruder vor dem Rassismus der Südstaaten geflohen und nach Los Angeles gezogen. Dort hatte die relativ hellhäutige Familie die Möglichkeit, ein Leben als Weiße zu führen. Die Eltern schickten George und seinen Bruder auf eine katholische Schule. Das »passing« in die weiße Gesellschaft gelang, und George Herriman konnte im Jahr 1900 in New York in die Zeitungsbranche gehen, was ihm mit einem offensichtlich afroamerikanischen Hintergrund vermutlich verwehrt geblieben wäre. In New York wurde er bei einer Volkszählung als in Louisiana geborener Weißer mit französischen Vorfahren registriert. Mit dem Wissen um seinen familiären Background, seine Erfahrungen mit Alltagsrassismus und dem Zwang, sich als jemand anderes ausgeben zu müssen, bekommen die Stories um Krazy Kat, Ignatz Mouse und Offica Pupp eine weitere Bedeutungsebene. Sie bilden auch den Versuch ab, den Zuschreibungen und Erwartungen zu entkommen, die mit den Figuren Hund, Katze, Maus verbunden sind, doch geraten sie dadurch in neue Zwangsverhältnisse, aus denen es ebenso wenig ein Entkommen gibt wie aus Herrimans Performance als weißer Amerikaner.

Der Comic spielt mit der Erwartung des Steinwurfs und den daraus folgenden Konsequenzen; er lässt den Lesern durch die Variation des Immergleichen jedoch auch die Möglichkeit, sich auf Nebenaspekte zu konzentrieren: Die Landschaft, den Himmel, die Sprache. Coconino County heißt die vom Monument Valley inspirierte, sich ständig verändernde Wüstenlandschaft, in der die Tiere leben. Während die Tiere nicht aus ihren zwanghaften Handlungen treten können, verändert sich die Landschaft stets, sogar von einem Panel zum nächsten. Vor allem auf den farbigen Sonntagsseiten, die in einer aufwendigen Ausgabe nun zum ersten Mal in Originalgröße gesammelt vorliegen, lässt sich die Kunst Herrimans nachvollziehen. Herriman löst die starre Seiteneinteilung auf, lässt Panels kippen und die Figuren die Leser ansprechen. »I am, indeed, an artist«, sagt Ignatz Mouse einmal und zeichnet einen Stein. Als Pupp ihn mit den Worten »No bricks« unterbricht, antwortet die Maus: »This is only a drawing of a brick, I can’t toss it« – um ihn dann schließlich doch der Katze an den Kopf zu pfeffern. Kein Wunder, dass in Artikeln zu George Herriman immer wieder die Nähe zu künstlerischen Entwicklungen jener Jahre betont wird; René Magritte hat mit seinem Bild »Der Verrat der Bilder«, der berühmten gemalten Pfeife, ähnliche Fragen nach dem Verhältnis von Abbild und Wirklichkeit gestellt. Auch Herriman lässt die Leser gerne verwirrt zurück.
Herrimans Comics leben von Missverständnissen: Jeder der Protagonisten glaubt die Intentionen der anderen zu kennen, liegt aber völlig daneben – der Steinwurf von Ignatz Mouse ist kein Liebesbeweis, Krazy Kat will von Offica Pupp nicht beschützt werden. Erneut wird deutlich, dass der Figurenkonstellation das Nachdenken über das Verhältnis von gesellschaftlichen Konventionen, persönlichen Bedürfnissen und der performten Identität zugrunde liegt, ein Verhältnis, das auch Herriman persönlich umgetrieben haben dürfte. Er hat keine Steine geworfen, sondern mit »Krazy Kat« einen bis heute nicht wieder erreichten Höhepunkt in der Geschichte des Comics geschaffen.

Alexander Braun (Hg.): George Herrimans Krazy Kat. Die kompletten Sonntagsseiten in Farbe 1935–1944, Taschen-Verlag, Köln 2019, 632 Seiten, 150 Euro