Die Immobilienwirtschaft ist empört über den Berliner »Mietendeckel«

Furien des Privatinteresses

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Das erste Argument lautet, der Mietendeckel schaffe keine neuen Wohnungen. Eine merkwürdige Kritik angesichts der Tatsache, dass niemand mit dem Konzept jemals die Absicht verbunden hat, neue Wohnungen zu schaffen. Es soll vielmehr Mieten begrenzen. Ein weiterer Vorwurf wird durch Wiederholung ebenfalls nicht plausibler: Würde man mehr Baugenehmigungen erteilen, entstünden schneller mehr Wohnungen, man bräuchte dann keinen Mietendeckel. Der jüngste Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin hat das Schwerpunktthema »Bauüberhänge«. Man sieht dem Begriff nicht gleich an, was er meint: Die Differenz zwischen erteilten Baugenehmigungen und der Fertigstellung genehmigter Bauten. Zwischen 2008 und 2017 wurde in Berlin der Bau von rund 139 000 neuen Wohnungen genehmigt. Die Anzahl pro Jahre der genehmigten Bauvorhaben stieg von 6 297 Wohnungen zu Beginn des Betrachtungszeitraums auf 24 743 Wohnungen im Jahr 2017. Die Zahl der Fertigstellungen stieg allerdings wesentlich langsamer. Ende 2017 waren 58 990 genehmigte Wohnungen noch nicht ­ertiggestellt. Davon befanden sich 20 700 noch nicht im Bau. Die Gründe dafür sind vielfältig, unter anderem gibt es Kapazitätsprobleme in der Bauwirtschaft und Fachkräftemangel in einigen Handwerksberufen.

Angesichts des Schlachtrufs der Mietendeckelgegner, »Bauen, bauen, bauen«, möchte man fragen: Wieso habt ihr Privaten bisher, also ohne Mietendeckel, denn nicht gebaut? »Weil das Geschäft mit den Mietsteigerungen so attraktiv ist«, lautet die Erklärung des Stadtsoziologen Andrej Holm. Es ist kurzfristig erheblich lukrativer, bestehende Häuser zu kaufen und mit Mieterhöhungen den Gewinn zu steigern, als zu bauen. Wenn privat gebaut wird, dann nicht für die sogenannten Einkommensschwachen. Die Mietpreise bei Neubauten sind alles andere als günstig, in den wachsenden Großstädten liegen sie deutlich über denen von Bestandswohnungen, auch sind die Mietsteigerungen in den neu gebauten Häusern höher. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Neubauten, die erstmals am 1. Januar 2014 oder später bezugsfertig waren, sind vom Mietendeckel ausgenommen. Was Privatinvestition in Neubau nicht zu bieten hat, sind Wohnungen für Haushalte mit geringen Einkommen. Allein in Berlin gibt es laut einer von Holm verfassten Studie von 2016 einen Fehlbestand von über 130 000 preisgünstigen Wohnungen für Geringverdiener. Bei armen Leuten ist weniger zu holen.

Das wissen auch die Vertreter der Immobilienwirtschaft. Hier, so die propagierte Lösung, müsse der Staat einspringen: Entweder indem er die »Einkommensschwachen« mit Wohngeld unterstützt, oder indem der private Wohnungsbau staatlich gefördert wird, sofern er eine bestimmte Mindestanzahl preisgebundener Wohnungen anbietet. Das heißt, die Vermehrung privaten Kapitals soll mit Steuergeldern gefördert werden – eine Umverteilung von öffentlich zu privat, die die soziale Ungleichheit abermals verstärkt. Der österreichische Wohnungswissenschaftler Christian Donner bezeichnet das treffend als eine »Förderung privater Mietwohnungsinvestitionen mit sozialer Zwischennutzung«.

Die aufheulende Immobilienwirtschaft versteigt sich, seit der Mietendeckel als Gesetzesentwurf vorliegt, zu immer gewagteren Behauptungen. So wird beispielsweise ein baldiger Zusammenbruch der Berliner Bauwirtschaft und des Immobilienmarkts prophezeit oder über verlorengegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat geklagt. Tatsächlich behaupten einige Unternehmen der Bauwirtschaft, dass die Auftragslage einbrechen werde und man mit Entlassungen zu rechnen habe. Dem widerspricht allerdings der bereits erwähnte und allseits beklagte Fachkräftemangel. So nannten zum Jahresbeginn 2019 in einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags 81 Prozent der Unternehmen des Baugewerbes diesen Mangel als Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung.