Fotografien von Jan Groover

Laboratorium der Formen

Gewöhnliche Gegenstände verwandeln sich in den Aufnahmen der Fotografin Jan Groover in abstrakte Gebilde. Die Künstlerin thematisierte in ihrer Arbeit geschickt die Bedingungen des Mediums Fotografie.

Auf dem Cover der Januarausgabe des Artforum von 1979 war eine Fotografie aus einer Serie von Stillleben der damals noch relativ unbekannten Jan Groover abgebildet, die sie in der Küche aufgenommen hatte. Die US-amerikanische Kunstzeitschrift gab zu dieser Zeit den Ton an. Dass eine Fotografie auf ihrem Titel erschien, galt vielen als Zeichen, dass sich die Fotografie als Medium in der Bildenden Kunst etabliert hatte. Die Farbaufnahme muss damals genauso apart gewirkt haben, wie sie es noch heute tut. Das Bild zeigt in Nahaufnahme rot angelaufene Blätter, daneben eine Messerspitze und die Zacken zweier Gabeln. Es handelt sich im Grunde um ein belangloses Setting, das allerdings zu seltsam wirkt, um wirklich belanglos zu sein. Durch ihre seltsame Erscheinung werden die belanglosen Gegenstände selbst zu seltsamen Gegenständen. In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren produzierte Jan Groover Stillleben aus der Küche. Es entstand eine ganze Reihe solcher Aufnahmen, auf denen Obst und Gemüse, Besteck, Glas, Porzellan und allerlei Küchengerät zu sehen ist.

Janis Groover beschloss irgendwann in im Laufe ihrer künstlerischen Karriere, die 1961 mit einem Studium der Malerei am Pratt Institute in New York begonnen hatte, sich Jan zu nennen. Die Malerei gab sie gut zehn Jahre später zugunsten der Fotografie auf, an der ihr gefiel, dass sie so unbedeutend war. In ihren Küchenszenen inszenierte sie mit Gestaltungsstrategien, die sie der Malerei entlehnte, einen bestimmten Ausschnitt des Alltags, der in den siebziger Jahren sehr viel selbstverständlicher noch als heutzutage Frauen zugeschrieben wurde. Die Sphäre, die Groover in ihren Bildern für die Öffentlichkeit aufbereitete, war privat. Sie knüpfte an Martha Roslers feministische Videoarbeit »Semiotics of the Kitchen« von 1975 an, in der die Künstlerin ähnlich wie in einer Fernsehkochshow in alphabetischer Reihenfolge die Dinge der Küche vorführt und schließlich wegen des Gefangenseins in dieser Welt durchdreht.

Groover vermied es konsequent, ihren Bildern Titel zu geben. Damit entzieht sie den Bildern eine Bedeutungsebene, lässt die Betrachterinnen und Betrachter ganz auf der Bildebene zurück. Von all den banalen Gegenständen sieht man Ausschnitte, die in nahezu monochrome Flächen unterteilt sind. Groovers Szenen sind mal monströs, mal orgiastisch und liegen somit stets nah an einer Art Urszene im psychoanalytischen Sinn: die rötlich schimmernde Klinge im Spülbecken, direkt über dem Abfluss; die Spitzen von Messern und Gabeln unter den Blättern einer Pflanze auf der weißen Fläche eines Tellers; die knallrote Paprikaschote in der durchsichtigen Glasschale.

 

Groover wurde durch ihre Küchen­serie einem kunstinteressierten ­Publikum bekannt. In den Achtzigern stellte sie wiederholt in größeren US-amerikanischen Museen aus. 1991 verließ sie wegen der konservativen Politik die USA und siedelte gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler und Kunstkritiker Bruce Boice, nach Frankreich über. 1994 drehte die Filmemacherin Tina Barney einen Dokumentarfilm über die Künstlerin und ihr Werk. 2012 verstarb Groover nach langer Krankheit.

2017 übergab Bruce Boice den Nachlass an das Musée de l’Elysée in Lausanne, das Groover zurzeit eine Einzelausstellung mit dem Titel »Laboratory of Forms« widmet. Zudem erschien ein erster ausführlicher Werkkatalog. Das derzeit große Interesse an Groovers Arbeiten mag an zwei Entwicklungen im Kunstdiskurs liegen. Erstens ist zurzeit ein gesteigertes Interesse an feministischer Kunst von Frauen zu beobachten. Zweitens aber entdeckt man in Groover eine frühe Vertreterin eines interdisziplinären Verständnisses von Fotografie. In den Bildern ihrer Küchenserie ist malerisches Gespür für Farbe zu erkennen. Für Stillleben, die sie in den neunziger Jahren anfertigte, ­arbeitete sie mit Mehrfachbelichtungen, was die Farbe stärker hervortreten ließ. Bereits 1977 zerlegte sie in einer Arbeit, in der sie eine ame­rikanische Reihen­haussiedlung fotografierte, die menschengemachte Umgebung in einzelne Farbfelder wie Wände oder Grasflächen. Zugleich ist in ihren Arbeiten eine gewisse Affinität zur derzeitigen Objektfotografie zu erkennen, die mit den Mitteln eines offenen Illusionismus die Bedingungen der Fotografie offenlegt. Die Reihe der zurzeit angesagten Fotografinnen und Fotografen, in deren Werk Groovers bildnerische Grundlagen eine Rolle spielen, reicht von Ricarda Roggan über Shirana Shahbazi bis hin zu Christopher Williams. Schon vor 40 Jahren nahm Groover so heutige Strömungen in der künstlerischen Fotografie vorweg.

Bereits in ihren ersten künstlerischen Fotografien finden sich entsprechende konzeptuelle Ansätze. 1971 fotografierte sie Kühe auf der Weide und Flugzeuge am Himmel. In ihren kleinen, schwarzweißen Abzügen stellte sie neben die vollständigen Fotografien solche mit Aussparungen. Wo die Kuh war, ist dann nur noch ein weißes Rechteck zu sehen. Es bleibt eine Umgebung, in der fehlt, worauf beim Fotografieren der Fokus gelegt wurde. Kommt ein zweites Rechteck hinzu, weiß man nicht einmal mehr, wo die Kuh gewesen sein könnte. Oder der Gegenstand bleibt, und die strukturgebende Umgebung wechselt: In einer Arbeit aus demselben Jahr komplettieren zwei Fotografien einen Kaffee- becher. Die Umgebung wiederum – längs und quer laufende Holzdielen – verrät, dass es sich ursprünglich um zwei unterschiedliche Objekte handeln muss.

Eine Besonderheit in Groovers Werk ist das stetige Experiment mit den technischen Mitteln der analogen Fotografie. Seit den frühen Achtzigern arbeitete sie an einer Reihe surrealistisch anmutender Stadtaufnahmen. Hierfür bediente sie sich des im späten 19. Jahrhunert entwickelten Platin-Palladium-Verfahrens, das bei Schwarzweißbildern einen großen Tonwertumfang ermöglicht. Groovers entlegene Straßen und Fabrikanlagen scheinen auf den Bildern in der Sonne förmlich zu zerschmelzen. Die Schatten beginnen, sich zu biegen, und die ganze Szenerie wird unwirklich. Die historischen Lieblingsujets sowohl eines harten Dokumentarismus als auch narrativer Fotografie werden auf diese Weise nahezu irreal. Groovers Fotografien müssen deshalb, als sie auftauchten, das herrschende Verständnis dieses Mediums ordentlich durcheinandergebracht haben.

Die Ausstellung »Jan Groover: Laboratory of Forms« ist noch bis zum 5. Januar im Musée de l’Elysée in Lausanne zu sehen. Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog.