Hannah Eitel über die Normalisierung der Rechten in Dresden

»Wer vom Verfassungs­schutz nicht als rechts­extremistisch bezeichnet wird, gilt als akzeptabel«

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Interview Von

Können Sie an einem Beispiel erklären, wie die extreme Rechte in Dresden für normal erklärt wurde?
Es gibt ein sehr anschauliches Beispiel: Im Rahmen der Bewerbung Dresdens zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2018 fand eine Veranstaltung mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp statt. Er gehört zum konservativen Dresdner Bürgertum. Tellkamp behauptete auf dieser Veranstaltung, dass 95 Prozent aller Asylsuchenden nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland kämen. Ebenfalls anwesend war der Verleger Götz Kubitschek vom extrem rechten Institut für Staatspolitik in Schnell­roda. Aus dem Publikum hielt er einen vierminütigen Wortbeitrag, ohne dass ihn die Moderation unterbrach. Hinterher distanzierte sich der Suhrkamp-Verlag, in dem Tellkamp oft publiziert hat, von dessen Aussagen. Daraufhin ließ der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wissen, dass ihm Tellkamps Meinung wichtig sei und man ihn nicht stigmatisieren dürfe.

Sehen Sie hinter solchen öffent­lichen Hilfestellungen für die ­extreme Rechte eher Naivität oder Strategie?
Ich glaube, da muss man zwei Varianten unterscheiden. Es gibt Leute, die ernsthaft verunsichert sind vom Vorwurf der Ausgrenzung. Sie glauben ­tatsächlich, Toleranz bedeute, mit allen zu reden und keine Haltung auszugrenzen. Es handelt sich dabei meist um Leute aus der Zivilgesellschaft vor Ort, die völlig überfordert sind mit der Situation. Ihnen muss man verdeut­lichen, welche Gefahr von der AfD ausgeht und warum sie mit der Partei auf keinen Fall zusammenarbeiten dürfen. Man muss nicht mit Leuten reden, die einen beleidigen und bedrohen. Das sollte selbstverständlich sein.

Und was ist die zweite Variante?
Das sind zumeist Rechtskonservative, die meines Erachtens strategisch vorgehen. Ob sie alle politische Koalitionen mit der AfD anstreben, weiß ich nicht, aber sie wollen vor allem die politische Linke diskreditieren, indem sie sagen, dass es eigentlich die Linken seien, die ständig jemanden ausgrenzen wollten. Diejenigen, die Pegida verharmlosten, machten sich die Sichtweise der extremen Rechten oft zu eigen.

Inwieweit beteiligt sich die Sozialwissenschaft an der Normalisierung der extremen Rechten?
Einer der am häufigsten zu Pegida ­befragten Wissenschaftler ist Werner Patzelt, ehemals Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Er verwendete einmal eine der Geologie entlehnte Metapher: Ein von 1968 geprägtes Establishment habe die Institutionen des Staates besetzt und sich wie eine Kruste über den wahren Volkswillen gelegt, der wie Magma unter der leblos erstarrten Kruste brodele und wieder her­vorbrechen wolle. Dieses Bild von den verkrusteten linken Eliten, die ihren Willen einem als lebendig und urgewaltig verstandenen Volk aufgezwungen hätten, entspricht genau der Anti-Establishment-Rhetorik der extremen Rechten. Ähnlich hat Alexander Dobrindt (CSU) argumentiert, als er sagte, es brauche eine konservative Revolution gegen eine vermeintliche linke Revolution der Eliten.