Im Paragraphendschungel - Recht im linken Alltag

Von Messermännern und Totrasern

Linkes Klagen über eine vermeintliche Kuscheljustiz

Der Straßenverkehr ist ein politisch heißes Thema geworden. Fußgänger beschweren sich über Radfahrer, diese und jene über den Autoverkehr, fast alle über SUVs. Dass sich gesellschaftliche Konflikte auch einmal zuspitzen, ist normal, und darum nicht unbedingt ein Thema für eine Rechtskolumne. Die Veränderung von Vorstellungen, die sich auf den Bereich des Strafrechts beziehen, ist es allerdings. Kommt es bei einem illegalen Autorennen zu einem Unfall mit Todesfolge, klagen selbst sonst linksliberal gesinnte Menschen über mangelnde Strafverfolgung und nicht nachvollziehbare, weil zu milde Urteile. In jüngster Zeit häufen sich diese ­Beschwerden, wenn es um die Frage des Vorsatzes geht.

Wer mit entsprechend stark überhöhter Geschwindigkeit fahre, habe einen Tötungsvorsatz. So wurde es mir auf kritische Nach­frage mehrfach entgegnet. Ich will versuchen, diesen Irrtum zu widerlegen. »Vorsatz« heißt vereinfacht gesprochen »Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung«. Im Falle der Tötung heißt das, dass der Täter weiß, dass er einen anderen Menschen tötet und das auch will. Beide Kategorien können im Einzelfall unterschiedlich gewichtet sein. Überwiegt das Wollen, spricht man von Absicht, überwiegt das Wissen, von einem direkten Vorsatz.

Ein Grenzfall ist der sogenannte bedingte Vorsatz, über den eifrig gestritten wird, jedenfalls in der Wissenschaft. Für die Rechtsprechung gilt folgende Definition: Der Täter hält den Erfolg, in unserem Fall die Tötung, für möglich und nimmt diese billigend in Kauf. Das ist schon etwas anderes als die Annahme, wer mit einer bestimmten Geschwindigkeit fahre, handele vorsätzlich. Das gilt ­übrigens auch für die weit verbreitete Vorstellung, wer mit einem Messer zusteche, handle immer mit Tötungsvorsatz.

Dass dem nicht so ist, hat seinen Grund, und zwar in juristischen Überlegungen zum staatlichen Recht, Verbrecher zu bestrafen. Die Strafe ist die ultima ratio staatlichen Handelns. Sie muss mit der gebotenen Zurückhaltung angewandt werden. Das schließt ein, dass nur zum Vorwurf gemacht werden darf, was individuell vorliegt. Das gilt auch für die individuellen Vorstellungen des Täters oder der Täterin. Geht es um die Tötung eines Menschen, werden an den Vorsatz härtere Maßstäbe angelegt, da man, so die juristische Argumentation, davon ausgehen müsse, dass Menschen eine ­höhere Hemmschwelle haben, einen anderen Menschen zu töten, als ihn beispielsweise nur zu verletzen.

Ein Grenzfall beschäftigt seit einigen Jahren das Landgericht Berlin und den Bundesgerichtshof. Im Februar 2017 verurteilte das Landgericht die Teilnehmer eines illegalen Autorennens, bei dem es zu einem Unfall mit einem Todesopfer kam, zu lebenslangen Haftstrafen wegen gemeinschaftlichen Mordes.

Der Bundesgerichtshof (BGH) fand die Begründung des Tötungsvorsatzes nicht aus­reichend und hob das Urteil im März vorigen Jahres auf. Eine andere Kammer des Landgerichts verurteilte die Teilnehmer des Autorennens im März dieses Jahres erneut wegen Mordes. Auch über dieses Urteil wird der BGH zu befinden haben.

Es handelte sich in diesem Fall übrigens um ein höchst riskantes Autorennen auf dem Berliner Kurfürstendamm, bei dem die Fahrer mit Geschwindigkeiten von deutlich mehr als 100 Stundenkilometern fuhren. Dass die Gerichte es sich mit dem Vorsatz selbst in solch spektakulären Fällen nicht leicht machen, ist kein Zeichen einer vermeintlichen Kuscheljustiz. Das Wehklagen darüber sollte man besser der autoritären Rechten überlassen.