»Corona hat das Potential, uns alle zu zerstören«
Sie verkörpern die Hoffnungen vieler Linker auf ein vom deutschen Spardiktat befreites Europa. Erst kürzlich gelang Ihnen mit der Partei Mera25 der Einzug ins griechische Parlament. Macht die gegenwärtige Wirtschaftskrise die Pläne für tiefgreifende Reformen zunichte?
Ja und nein. Die Vorstellungen von einer echten demokratischen Reform, an der die Menschen in und außerhalb von Europa nicht zu leiden haben, sind durch die Coronakrise zwar angegriffen, aber die Notwendigkeit besteht mehr denn je. Die Welt hat sich mit der Coronakrise nicht wirklich verändert, vieles kommt nur jetzt deutlicher zum Vorschein.
Zu der medizinischen Krise kommt nun die wirtschaftliche. Auf Sizilien wurden nach Plünderungen Carabinieri und Soldaten vor Supermärkten und Bäckereien postiert.
Das ist nicht das Europa, das ich mir wünsche. Aber es betrifft eben nicht nur Südeuropa, es wird auch Skandinavien betreffen, die Niederlande und auch Deutschland.
"Es gibt in all diesen großen und kleinen Diskussionen in Europa, in der EU, immer den großen Fehler, dass die Probleme Süden gesucht werden. Dort liegt das Problem aber nicht, der Süden ist die Zukunft. Wer wirtschaftlich denken will, nicht philanthropisch, muss das verstehen."
Inwiefern? Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat doch recht, wenn sie sagt, in Deutschland bestehe keine Lebensmittelknappheit. Finanzminister Olaf Scholz verspricht den Deutschen umfassende Hilfen.
Die wirkliche Gefahr, die Covid-19 für die Menschen in Europa darstellt, und zwar auch für die, denen es bisher relativ gut ging, besteht in der Frage, die auch alle verantwortlichen Politikerinnen und Politiker umtreibt, ob nun die völlige Zerstörung der Europäischen Union bevorsteht.
Ist diese Angst nicht übertrieben?
Die Flüchtlinge an der türkischen Grenze zu Europa und die Tausenden Toten, die es schon in Italien und Spanien durch Covid-19 gibt, sind die Schockwellen, die nun Europa treffen, zuerst von außen, dann auch im Inneren. Der Punkt, an dem wir jetzt sind, ist der point of no return.
Während der Euro-Krise 2015 wurden Sie als Finanzminister zum Gegenspieler Ihres damaligen deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble. Aber Schäuble hatte die Schuldenkrise nicht allein zu verantworten …
Natürlich nicht. Dazu muss man auch auf die 20 Jahre davor schauen, aber niemand schaut gerne auf die Vergangenheit, wenn es wehtut. Was jetzt in den Zeiten von Corona passiert, ist Ausdruck dessen, was seit 20 Jahren in Europa geschehen ist. Geben Sie mir eine Minute, es darzustellen: Das Leiden der Menschen begann mit dem Vertrag von Maastricht. Der war eine gute Idee, die aber nicht gut umgesetzt wurde. Denn was ist passiert? Eine gemeinsame Währung wurde geschaffen. Für alle? Nein, nicht für alle. Denn ein gemeinsames Sozialsystem wurde eben nicht geschaffen und auch keine gemeinsame Wirtschaft.
Die Europäische Union hat doch aber auch positive Seiten?
Natürlich hat sie die, keine Frage, aber wirtschaftlich? Ich würde das bezweifeln. Und die Realität stützt diese Zweifel.
Was ist mit dem Binnenmarkt der EU?
Der funktioniert auf den ersten Blick sehr gut. Aber gibt es denn auch ein gemeinsames Bankensystem? Was Maastricht erzeugt hat, ist die größte Krise dieses Kontinents, die es je gab. Das meine ich mit der Zerstörung Europas. Sie wird kommen, wenn wir jetzt nicht handeln. Dann werden nämlich die Populisten handeln. Das ist keine Untergangsphantasie, sondern beschreibt die Ereignisse der letzten zwei, drei Jahre. Die Allerschwächsten werden wie immer den Preis zahlen müssen. Die Geschichte hat uns getestet und Europa hat den Test nicht bestanden.
Sie haben während der Krisenverhandlungen über die griechischen Schulden 2015 die Gespräche in der Euro-Gruppe mitgeschnitten und halten den Zeitpunkt für gekommen, die »Euroleaks« zu veröffentlichen. Viele sagen: Das mit Griechenland ist doch schon Jahre her, das ist doch vorbei.
So ist das eben mit der Vergangenheit. Aber die Art und Weise, wie wir alle in der Euro-Krise gescheitert sind, ist dieselbe, wie wir nun in der Coronakrise versagen. Wenn die EU in der Coronakrise so handelt wie bisher, heißt das, dass Europa erneut versagt. Wir sollten dabei nicht an den gesundheitlichen Gefahren des Virus zweifeln, wie manche es tun, sondern müssen am Umgang mit Corona zweifeln und in Frage stellen, ob von manchen Verantwortlichem auch alle Gefahren tatsächlich begriffen werden.
Das ist die Kritik, aber was müsste passieren, um den Untergang abzuwenden?
Eine Lösung wären Eurobonds. Wahrscheinlich ist es das wichtigste und beste Mittel.
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