Wer ALG II bezieht, kann keine Notvorräte anlegen

Preppen im Sozialrecht

Teil 23. Eine Kolumne über das Recht im linken Alltag.
Im Paragraphendschungel Von

Das Preppertum, das heißt die Vorsorge für einen irgendwie gearteten apokalyptischen Ausnahmezustand, genießt in der politischen Linken keinen besonders guten Ruf. Das liegt daran, dass vornehmlich rechtsextreme Netzwerke dafür bekannt sind, von denen einige sich nicht nur auf Nahrungsmittelknappheit vorbereitet haben, sondern zudem Waffen und massenhaft Munition, auch aus Bundeswehr- und Polizeibeständen, beiseitegeschafft haben. Doch selbst die Bundesregierung, besser gesagt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, empfiehlt in einem »Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen«, einen Notvorrat anzulegen. Um es vorwegzunehmen: Das Bundesamt rät ausdrücklich dazu, genug Toilettenpapier vorrätig zu halten. Dieser Ratgeber geisterte in den vergangenen Jahren wiederholt durch die sozialen Medien und diente verschwörungsgläubigen Menschen als Indiz dafür, die Bundesregierung rechne fest mit einer baldigen Katastrophe oder plane gar eine solche.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie wurde der Ratgeber wieder häufiger herbeizitiert. Viele stellten sich die Frage, ob es nicht doch sinnvoll sei, einen solchen Notvorrat anzulegen, darunter auch Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II, landläufig Hartz IV. Manche von ihnen beantragten Mehrbedarf beim Jobcenter, um sich einen solchen Notvorrat anschaffen zu können. Das Sozialgericht Konstanz lehnte den Eilantrag eines Leistungsempfängers Ende Februar ab. Die Mittel, sich einen Notvorrat an Lebensmitteln anzuschaffen, seien vom Regelsatz abgedeckt, weitere Ausrüstung benötige die Bevölkerung im Alltag nicht.

Die Sache mit dem Regelsatz muss kurz erklärt werden: Er wurde aus Erhebungen des Statistischen Bundesamts ermittelt. Die Ausgaben von Haushalten mit niedrigen Einkommen wurden ausgewertet, dann wurden Ausgaben abgezogen, die nicht zur Sicherung des Existenzminimums dienen. Seither wird der Regelsatz anhand der Nettolohnentwicklung angepasst. Betrachtet man die letzte Anpassung, finden sich dort allerlei Einzelposten, aber keine Ausgaben für die Katastrophenvorsorge oder gar für einen Notvorrat für zehn Tage, wie ihn das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt. Die Leistungen sind bekanntermaßen so niedrig bemessen, dass viele Menschen auf Lebensmittelspenden wie etwa durch die Tafeln angewiesen sind, deren Angebote in der derzeitigen Krise allerdings nicht aufrechterhalten werden konnten. Zudem wurden bestimmte Waren wie etwa das Toilettenpapier, Nudeln und Reis gleich zu Beginn der Krise knapp, so dass es Leistungsempfängern nicht möglich war, nach günstigen Angeboten zu suchen.

Die Frage nach der Schutzausrüstung ist ebenfalls bedenkenswert. Auch daran wurde in der Bedarfsermittlung kein Gedanke verschwendet, obwohl der staatliche Ratgeber eine Reihe von Anschaffungen dringend empfiehlt. Das fängt mit einer gut bestückten Hausapotheke an und geht über einen Campingkocher bis hin zu Solar- beziehungsweise Kurbelradioempfängern. Im Fall einer Freisetzung biologischer Stoffe, zu denen auch Viren zählen, empfiehlt das Bundesamt übrigens die Nutzung eines Mund- und Gesichtsschutzes, notfalls darf es auch eine behelfsmäßige Heimwerkermaske sein. Das mutet ein wenig seltsam an, da seit Wochen darüber diskutiert wird, ob Gesichtsmasken hilfreich sind oder nicht. Die Empfehlung liegt aber wohl darin begründet, dass für den Katastrophenschutz nicht maßgeblich ist, was bewiesenermaßen im konkreten Fall sicher hilft, sondern was sich ganz allgemein bewährt hat. Für die Bundesregierung war der Ratgeber bei den jüngst beschlossenen Maßnahmen jedenfalls nicht maßgeblich. Und Leistungsempfänger nach SGB II bekommen nicht einmal in dieser akuten Krise die Möglichkeit, die vielleicht noch mögliche Vorsorge für noch schlechtere Zustände zu treffen.