Das Hauptverfahren gegen den Attentäter von Halle hat begonnen

Kein Raum für den Kämpfer

In der vergangenen Woche begann der Prozess gegen den Attentäter von Halle. Die Nebenklage vereitelte dessen Versuche der Selbst­- ­inszenierung.

Es dauerte, bis die vor dem Oberlandesgericht Naumburg zur Schau gestellte Selbstsicherheit des Angeklagten bröckelte. Zwei Verhandlungstage lang hatte der geständige Attentäter von Halle die Vorbereitung, den Ablauf und die Motivation seiner Tat ausgebreitet. Er genoss die mediale Aufmerksamkeit, scherzte und lachte, während er sich zu seiner Tat äußerte oder als das von ihm erstellte Livestream-Video des Anschlags im Gerichtssaal abgespielt wurde. Als Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage den Angeklagten zu Details der Tat befragten, fühlte er sich sichtlich weniger wohl in seiner Haut.

Mit knapp zwei Stunden Verspätung hatte die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens am Dienstag vergangener Woche die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten eröffnet. Da der Anschlag geeignet gewesen sei, die »Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer ­Geltung zu setzen oder zu untergraben«, wird die Tat vor dem Staatsschutzsenat des Naumburger Gerichts in der Bibliothek des Landgerichts Magdeburg verhandelt. Insgesamt 18 Verhandlungstage wurden angesetzt, ein Urteil wird Mitte Oktober erwartet.

Die Anklageschrift, die Bundesanwalt Kai Lohse zum Auftakt der Hauptverhandlung verlas, zeichnet ein umfassendes Bild des Geschehens in Halle am 9. Oktober 2019: Der 28jährige Angeklagte habe sich um kurz vor zwölf Uhr mit acht Waffen und zahlreichen Sprengsätzen bewaffnet der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Halle genähert, in der gerade der höchste jüdische Feiertag, Yom Kippur, begangen wurde. Er habe versucht, in das Gebäude einzudringen, »um einen Mordanschlag auf die Besucher der Synagoge zu verüben«. Lohse zufolge handelte der Angeklagte dabei aus einer »antisemitischen, rassistischen und menschenfeindlichen Gesinnung heraus«. Dies gehe aus dem Livestream des Täters vom Geschehen und auch aus Dokumenten hervor, die er zuvor im Internet veröffentlicht habe. Mit seiner Tat und dem Stream habe er mögliche Nachahmer motivieren wollen.

Nachdem der Angeklagte daran gescheitert sei, sich mit Sprengsätzen und Waffengewalt Zutritt zur Synagoge zu verschaffen, habe er die zufällig ­vorbeikommende 40jährige Jana L. erschossen. Anschließend habe er einen nahegelegenen Dönerimbiss attackiert und dort den 20jährigen Kevin S. ge­tötet. Auch auf seiner anschließenden Flucht habe der Angeklagte auf mehrere Personen geschossen und diese zum Teil verletzt. Dem Angeklagten werden zweifacher Mord, versuchter Mord in 68 Fällen und eine Reihe weiterer Vergehen wie die Leugnung der Shoah zur Last gelegt.

Bereits zu Beginn der Einlassung des Angeklagten wurde deutlich, was viele bereits befürchtet hatten: dass er die Hauptverhandlung als eine Bühne begriff, um sich als »Krieger« zu stilisieren. Einige Betroffene und Nebenkläger hatten sich deshalb vorab mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt, in der sie darum baten, den Namen des Angeklagten nicht zu nennen, um seiner ersehnten Selbstdarstellung keinen Raum zu geben.

Den antisemitischen Ausführungen des Angeklagten zufolge sind die Juden sowohl für einen Genozid an den Weißen als auch für den ihm verhassten Feminismus verantwortlich. Schon 2015 habe er beschlossen, nichts mehr für eine Gesellschaft zu leisten, in der er als Weißer »ersetzt« werden solle. Der Angeklagte gab an, die Synagoge gezielt an Yom Kippur angegriffen zu haben. Seinen antisemitischen Phantasien zufolge ist dies ein Feiertag, an dem Juden »dafür beten, dass sie sich auch im nächsten Jahr nicht an Verträge halten müssen«. Da sein Anschlag auf die Synagoge fehlgeschlagen sei, habe er sich gezielt dem »Symptom« – Muslimen – zuwenden wollen. Während die Vorsitzende Richterin zur rassistischen Wortwahl des Angeklagten deutliche ­Worte fand und ihm mit einem Ausschluss von der Verhandlung drohte, reagier­te sie auf den Antisemitismus unbeholfen: So sagte sie zum Angeklagten, es sei schade, dass er die ­Synagoge nicht einmal am Tag der offenen Tür besucht habe. Unangebracht wirkte dies nicht nur, weil der Angeklagte kurz zuvor dargelegt hatte, dass ihm seine Unkenntnis über die örtlichen Begebenheiten die Planung erschwert habe, sondern auch, weil sie auf der falschen Annahme basiert, dass ein Antisemit sich durch Begegnungen mit Jüdinnen und Juden von seiner Ideologie abbringen ließe.

Schon vor der Hauptverhandlung hatten Expertinnen und Experten den ­Anschlag in Halle als Beispiel für die sogenannte gamification rechten Terrors herangezogen. Dabei werden »Elemente aus Computerspielen auf rechtsextreme Gewalt angewandt«, wie Miro Dittrich von der Amadeu-Antonio-Stiftung im Gespräch mit der Jungle World sagte. Den Tätern gehe es darum, mit einem Angriff einen »Highscore« zu erzielen, also besonders viele Menschen zu töten. »Der Täter von Halle hat sich ›Achievements‹ gewählt. In seiner Szene kann das als humoristischer Weg gelten, bestimmte Ziele der Gewalt zu formulieren«, so Dittrich. Die Ausführungen des Attentäters bestätigten die Bedeutung dieser gamification: So gab er an, dass ihm die gründlich vorbereitete Live-Übertragung und Inszenierung wichtiger gewesen sei als die Tat selbst. Die Passantin Jana L. habe er auch deshalb erschossen, um sich nicht vor seinem Online-Publikum zu blamieren. Inspiriert worden sei er unter anderem von dem Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch. Im März 2019 hatte ein australischer Rechtsextremer dort zwei Moscheen gestürmt und 51 Menschen erschossen. Auch er hatte die Tat live gestreamt.

Die Richterin sagte dem angeklagten Attentäter, es sei schade, dass er die Synagoge
nicht einmal am Tag der offenen Tür besucht habe.

Bei der Befragung durch die Nebenklagevertretung kamen die Online-Kontakte des Angeklagten zur Sprache. Im Internet habe er sich in unterschiedlichen Foren und Chats mit anderen ausgetauscht, viele dieser Seiten befänden sich im als Darknet bezeichneten Bereich, so der Angeklagte. Zudem habe er von einem bislang Unbekannten mit dem Decknamen »Mark« eine Bitcoin-Spende von umgerechnet etwa 1 000 Euro erhalten. Er habe vor der Spende mit »Mark« und zwei weiteren Personen in einem Chat Details zu seinem Waffenbau und seinen Experimenten mit Waffentechnik geteilt. Zudem habe er »Mark« mitgeteilt, Muslime töten zu wollen. Hinweise auf die genaue Tatplanung habe es in diesem Austausch aber nie gegeben. Auf Nachfrage der Nebenklagevertretung sagte der Angeklagte, »Mark« sei Moderator verschiedener Seiten gewesen, darunter auch des mittlerweile verbotenen Imageboards »8chan«. Insgesamt reagierte der Angeklagte aber ausgesprochen einsilbig auf Nachfragen zu konkreten Websites und Plattformen. Die Begründung: Er wolle »niemanden ­anscheißen« und »seine eigenen Leute« schützen.

Den Vertretern der Nebenklage gelang es, der Selbstinszenierung des Angeklagten Grenzen zu setzen. Wenn er zu ausschweifenden Monologen ansetzte, unterbrachen sie ihn und forderten die Beantwortung ihrer konkreten Fragen ein. Der Angeklagte reagierte immer gereizter und lehnte die weitere Befragung durch einige Nebenklagevertreter ab. »Wir haben ihm eindeutig den Raum zur Ausführung seiner Propaganda und Ideologie genommen«, sagte der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann der Jungle World. Von der provokanten Selbstsicherheit des An­geklagten war nicht mehr viel übrig. »Es ist uns lieber, dass er den Prozess schweigend beobachten muss, als dass ihm Raum zur Selbstdarstellung ge­boten wird«, so Hoffmann.

Etwa 100 Menschen hielten zum Prozessauftakt eine Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude ab. Sie verwiesen auf die gesamtgesellschaftliche Dimension der Tat. So hob etwa die Rabbinerin ­Rebecca Blady, die den Anschlag in der Synagoge erlebte und im Prozess als Nebenklägerin auftritt, in einer Rede hervor, dass der Prozess nicht den Schlusspunkt der Auseinandersetzung mit dem Anschlag von Halle darstellen dürfe: »Dieser Moment sollte uns daran erinnern, dass viel Arbeit vor uns liegt und dass diese Arbeit über die symbolische Unterstützung von jüdischen communities und communities anderer Minderheiten hinausgehen muss.«