Ein Interview mit dem Regisseur Klaus Lemke über den deutschen Film

»Das ganze System ist am Arsch«

Der Regisseur Klaus Lemke wird dieses Jahr 80. Kürzlich hat er seinen neuen Film »Berlin Izza Bitch« abgedreht, während sein »Ein Callgirl für Geister« in diesem Monat auf dem Filmfest in München gezeigt wird. Im Oktober dann wird die Dokumentation »Bad Boy Lemke« über seine abgebrochenen Filmprojekte erscheinen. Ein Gespräch über Berlin, den deutschen Film und unschwule Schauspieler.
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Der Hype um Berlin in den vergangenen Jahren hat eine Fülle an Filmen und Serien zur Folge gehabt, die in der Hauptstadt spielen. Welchen Blick haben sie auf Berlin entwickelt?

Berlin für mich zuerst: Das sowjetische Ehrenmal in Treptow, wo eine ältere russische Dame mit Hilfe eines Dolmetschers einen vielleicht schon 13jährigen Skater bittet, den Höllenkrach bitte zu lassen. Ihr 1945 in Berlin damals 19jähriger Sohn liegt hier unter den Steinen. Der Skater nimmt sein Board. Und geht. Und sagt im Gehen noch, dass sicher auch ihr Sohn viel lieber als im Panzer viel lieber mit Interrail und einem Skateboard nach Berlin gekommen wäre. Als der Dolmetscher das ins Russische übersetzt hat – weint die Dame. Glücklich. Und umarmt den Jungen.

In Deutschland braucht ein Film für gewöhnlich entweder einen Heimatbezug oder das kulturelle Kapital eines Aufbauseminars.

Nur »4 Blocks« kommt über die Ästhetik eines Deutschleistungskurses für die Filmförderungsanstalten ­hinaus. Weil in drei (!) von zwei Fällen die Mechanik eines bescheuerten Plots die Story und Charaktere killt.

Dominik Grafs Krimiserie »Im Angesicht des Verbrechens«, der mit Kokain gefütterte Kampfhund unter den Berlin-Serien, schlug zu, bevor alles zum Deutschleistungskurs erstarrte.

Grafs Berlin-Serie war großartig. Wie die russische Bäuerin »Ach, diese Deutschen« sagt – genial. Meine letzten 13 Filme wurden von der Berlinale abgelehnt. Den neuen, »Ein Callgirl für Geister«, habe ich erst gar nicht hingeschickt. Auch wäre ich viel lieber meine Filme selbst als nur der Regisseur meiner Filme. So wie in japanischen Filmen die Möbel im Haus den Hausherren auffressen.

Frei nach Adorno könnte man sagen, dass die Franzosen nur Gemüse zu filmen brauchten und es war Kunst, die Deutschen dagegen Kunst wollen und allemal Gemüse dabei herauskommt.

50 Jahre Staatskino ist gleich Hunderte von stark missbrauchsanfälligen Regisseuren plus ein paar Milliarden verschwendeter Steuergelder. Brav, banal, begütigend, frigide, käuflich und selber schuld. Staatsknete ist ein Tritt in die Kreativität jedes Regisseurs. Das ganze System ist am Arsch.

US-amerikanische Schauspieler wussten immer, dass ein Mann zu sein nicht ausreicht. Die waren zugleich schwul, hetero, maskulin, feminin und dabei wie Marlon Brando noch schön, als sie gar nicht mehr gut aussahen. Sind deutsche Schauspieler zu unschwul?

Unschwul? Wenn sie wenigstens das wären. Bestenfalls sind sie Opfer ihrer eigenen Gartenmöbel. Die Dramaturgie des Staatskinos ist: Nett gedacht am Anfang. Und dann frisst Staatsknete alle auf.

Am Ende ihres Films »Idole« aus dem Jahr 1975 tauschen die von Cleo Kretschmer und Puppa Armbruster gespielten Heldinnen einen Blick aus, der sie erkennen lässt, dass die frisch von ihnen eroberten Typen Nieten sind und sie eigentlich das bessere Paar wären. Wann gibt es bei ihnen mal eine schwule Liebesgeschichte?

Kann passieren. Ich versuche, die Zuschauer in meine Geschichten reinzuziehen, indem ich das, was passiert, wie direkt vor den Augen der Zuschauer erfinde. So bekommen die Zuschauer den Eindruck, dass sie es sind, die durch ihre Vorahnung die Geschichte ins Rollen bringen. Ich nenne das die Ästhetik der Beiläu­figkeit.

Das bedeutet ein Filmemachen, das auf absolute Spontanität abzielt?

Um ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Denn am Publikum vorbei zu filmen ist wie Klatschen mit einer Hand.

Die Dokumentation »Bad Boy Lemke«, die im Herbst auf dem Filmfest Hamburg zu sehen sein wird, handelt von ihren abgebrochenen Filmen. Warum sollte man sich auch zu gescheiterten Projekten bekennen?

Verlassen kann man sich in drei von zwei Fällen nur auf die eigenen Fehler. Aber man sollte nicht ihr Opfer werden. Man sollte sich von einem Fehler in den nächstübleren retten.