Platte Buch: Karine Tuil: »Menschliche Dinge«

Recht und Gerechtigkeit

Karine Tuil: »Menschliche Dinge«
Kolumne Von

Der Roman »Menschliche Dinge« der französischen Juristin Karine Tuil entfaltet seinen Plot auf so raffinierte Weise, dass man durch immer neue Wendungen überrascht wird. Von der vor dem Hintergrund der »Me Too«-Debatte ablaufenden Handlung soll deshalb nicht mehr verraten werden, als der Klappentext ­ohnehin erzählt. Im Mittelpunkt steht ein intellektuelles Vorzeigepaar: der gefeierte Fernsehmoderator Jean Farel und seine jüngere Frau Claire, eine prominente feministische Autorin und ehemalige Praktikantin von Bill Clinton. Zeitgeschichte und Fiktion, glanzvolle Namen und fik­tive Figuren fügen sich zu einem stimmigen Tableau. Auch Jean Farels Biographie spiegelt die Zeitgeschichte: Im Alter von 70 Jahre blickt der Starmoderator auf eine Ausnahmekarriere im französischen Fernsehen zurück. Von Bourdieu bis Foucault hat er alle wichtigen Denker interviewt. Aus der Hand des Präsidenten nimmt Farel den nationalen Verdienstorden entgegen. Claire sowie der gemeinsame Sohn Alexandre sind im Elysée-Palast zugegen. Doch die Familie ist zerstritten: Alexandre ist froh, dass er in Stanford weit weg vom tyrannischen Vater studiert. Claire lebt längst mit einem anderen Mann zusammen. Und Jeans Liebe gilt einer nicht mehr jungen Zeitungsredakteurin, die Jahrzehnte darauf gewartet hat, dass er sich offiziell zu ihr bekennt. Als am Tag nach dem Empfang die Polizei mit der Vergewaltigungsanzeige einer jungen orthodoxen Jüdin bei den Farels klingelt, ändert sich das Leben der berühmten Familie schlagartig. Jetzt müssen Jean, Claire und Alexandre Farel die Fragen beantworten, die Justiz und Medien an sie stellen. Lange Zeit weiß man nicht, worauf die aus verschiedenen Blickwinkeln erzählte Geschichte einer Vergewaltigung und ihrer Aufklärung hinausläuft. Karine Tuil zwingt einen förmlich dazu, das spannend gemachte Buch bis zum Ende zu lesen und den Widerspruch auszuhalten, der zwischen Recht und ­Gerechtigkeit besteht.

Karine Tuil: Menschliche Dinge. Aus dem Französischen von Maja Ueberle-Pfaff. Claassen, Berlin 2020, 384 Seiten, 22 Euro