In der digitalen Hochschule sollen Studierende und Lehrende keine Zeit vergeuden

Die überschätzte Digitalisierung

Universitäre Lehre findet derzeit fast ausschließlich online statt, auch Verwaltungsabläufe wurden digitalisiert. Die Neuerungen der ver­gangenen Monate sollen einen auf Effizienz getrimmten Universitäts­betrieb am Laufen halten.

Bekanntlich sind in Hörsälen die Plätze am Rand besonders beliebt. Dafür mag es viele Gründe geben. Einer ist sicherlich, dass man dort der Langeweile ­einer Vorlesung ohne großes Aufsehen entfliehen kann. Wer in der Mitte sitzt, muss dagegen viele Leute hochscheuchen, um sich aus dem Staub machen zu können. Anders ist das im Digitalbetrieb. Es war wohl nie einfacher als im dunklen Off der Videokonferenzen, die in vielen Fällen eher Audiokonferenzen heißen müssten, abwesend anwesend oder anwesend abwesend zu sein – was auf das Gleiche hinausläuft und nichts mit Dialektik zu tun hat. Plötzlich sitzen alle am Rand.

Doch auch für manche Lehrkräfte sind digitale Vorlesungen und Seminare von Vorteil. Weil der eine oder die andere, oft vermutlich ältere Jahrgänge, weniger mit Technik anfangen will oder kann, mutiert das Seminar bisweilen zur Hausaufgabenschleuder. Selbststudium und dazu passende Textproduktion oder Aufgaben anderer Art sind gängig. Sie machen es Studierenden unmöglich, wie sonst üblich passiv im Seminar die anderen reden zu lassen. In der Online-Vorlesung lässt sich Anwesenheit leicht simulieren, aber die möglicherweise gewonnene Zeit ist schnell wieder verloren, wenn plötzlich dokumentierte Beschäftigung mit den Themen verlangt wird.

So vielfältig der Universitätsbetrieb vor der Covid-19-Pandemie war, so schwer ist es einzuschätzen, wie die Digitalisierung der Lehre das Studium verändert hat. Das hängt unter anderem von den Eigenheiten der verschiedenen Fächer sowie von unterschiedlichen Begriffen des Lehrens und Lernens ab. Von Institut zu Institut und auch von Universität zu Universität unterscheiden sich die Praktiken des Lehrens stark. Multiple choice lässt sich recht simpel durch den Äther jagen, die kritische Seminardiskussion kaum.

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