»Ciao, scusi, stracciatella«
Die Gesellschaft verändert sich. Alte, für die Ewigkeit gedachte Strukturen lösen sich auf, neue Formen des Zusammenlebens werden ausprobiert. Lebensentwürfe, die vor Jahren von vielen noch belächelt wurden, sind jetzt ernsthafte Alternativen. Beispiel: Sahra. Die erfolgreiche ostdeutsche Medienunternehmerin lebt in einer eheähnlichen Beziehung mit einem sehr viel älteren Mann aus dem Westen, mit dem sie gleichzeitig befreundet ist. Die beiden teilen sich den Wohnort, die Ansichten und sogar den Bademantel. Sie nennt ihn »Oskar«, er nennt sie »die Wagenknecht«. Sie teilen sich zwei Doppelhaushälften im saarländischen Merzig – er lebt auf der französischen Seite, sie auf der deutschen. Manchmal gibt es »Grenzstreitigkeiten«, dann muss ein symbolischer »Gefangenenaustausch« organisiert werden. Ein ungewöhnliches Gespann – und darin irgendwie ganz normal.
Nun hat Sahra ein Buch geschrieben, das für Zündstoff sorgen wird. Es geht darum, dass die beiden ihren eigentümlichen Lebensstil als Modell für die Zukunft durchsetzen möchten. »Die Gesellschaft wird nur überleben, wenn wir irgendwann alle unsere ehemaligen Chefs heiraten«, sagt Sahra heute im Interview. »Ich habe kein Verständnis für Leute, die sich der Moderne verweigern. Die klassische Paarbeziehung hat ausgedient. Wir müssen lernen, alles als Einheit zu denken. Partei, Vorstand, Ehe, Beruf, Beziehungsleben – im Sinne der ständig Effizienzsteigerung der Produktivkräfte müssen wir das alles zusammenlegen! Und dann für andere Parteien Werbung machen, die genau das Gegenteil fordern!«
Viele glauben, dass das Pärchen mit seinem spleenigen, marottenhaften Lebensstil eher abschreckend wirkt auf die traditionelle Stammwähler- und Stammwählerinnenschaft der Linken, die mehrheitlich aus einfachen, schweißtriefenden Arbeitern mit Schnauz besteht. »Das ist uns egal«, zetert die oft in schrillbunten Chefinkostümen auftretende Wagenknecht und legt provokant nach: »Alt, jung, französisch, deutsch, rechts, links, das alles sind Defintionen von gestern! Wer da nicht mehr mitkommt, zu dem sage ich: Ciao, scusi, stracciatella.«
Viele in der Linkspartei hoffen, dass die grellen identitätspolitischen Spielchen Sahra Wagenknechts endlich ein Ende haben. »Aber sagen trauen wir uns das nicht«, sagt eine Vorsitzende der Bundespartei, die anonym bleiben will. »Sonst cancelt sie uns am Ende!«