Ein neues Gesetz in Mississippi verbietet transgeschlechtlichen Mädchen die Teilnahme am Mädchensport

Rechtes Herzensthema Frauensport

Die Diskussion über transgeschlechtliche Frauen im Frauensport wird weitgehend faktenfrei geführt. Dabei böte sie Anlass, über den Sport an sich zu debattieren.

Nun ist es tatsächlich geschehen: Anfang März hat der US-Bundesstaat Mississippi ein Gesetz verabschiedet, das transgeschlechtlichen Mädchen verbietet, am Mädchensport teilzunehmen. Der sogenannte Mississippi Fairness Act ist das erste Gesetz dieser Art, das tatsächlich in den USA durchgesetzt wurde. Er ist Teil einer ganzen Reihe von Gesetzesvorschlägen US-amerikanischer Konservativer, die gegen transgeschlechtliche Personen im Sport vorgehen. Im Bundesstaat Mississippi sind öffentliche Highschools und andere höhe­re Bildungseinrichtungen von Juli an verpflichtet, »ihre Athletinnen und Athleten entsprechend ihrem biologischem Geschlecht zusammenzustellen«. Außerdem sollen sie dabei vor Beschwerden oder Ermittlungen geschützt sein.

Die große Schwäche des Sports besteht darin, dass er suggerieren muss, es gehe bei Wettbewerben
gleich und fair zu.

Das Gesetz wurde in Mississippi mit überwältigender Mehrheit verabschiedet, obwohl es dort derzeit weder ein Problem mit noch Streit wegen transgeschlechtlichen Mädchen in Mädchenteams gibt. Stattdessen sollen »viele Trainer im ganzen ­Bundesstaat« darauf gedrängt haben, eine vorbeugende Lösung zu finden, so die dortige Republikanische Partei.

Mississippi ist nicht der einzige Staat, der Anti-Trans-Gesetze im Sport möchte: Nach Angaben der BBC werden in den USA derzeit 73 Gesetze diskutiert, die transgeschlechtliche Personen beträfen. Davon will etwa die Hälfte die Teilhabe von transgeschlechtlichen Frauen im Frauensport verbieten.

Geplant sind solche Gesetze auch in Louisiana, North Dakota, Arizona, Kentucky, Alabama, Georgia, South Dakota, Iowa, Tennessee und Kan­sas. Queere Aktivisten und Aktivistinnen sprechen von einem »koordinierten Angriff« von rechts; die Gesetzestexte ähnelten einander und seien von antiqueeren Lobbyorganisationen verfasst. Auch außerhalb der USA wird das Thema debattiert: Der Rugby-Weltverband mit Sitz in Dublin (Irland) hat 2020 als erster Sportverband der Welt transgeschlechtliche Frauen aus dem Frauenwettbewerb ausgeschlossen, auf Basis einer höchst umstrittenen Studie.

Rechtsextreme Portale wie Breitbart haben das Thema mittlerweile für sich entdeckt. Um substantielle Verbesserungen für den Frauensport, etwa gleiche Gehälter, gleiche Bedingungen oder mehr mediale Aufmerksamkeit, geht es dort natürlich nicht.

Bezüglich transgeschlechtlicher Frauen besteht im Frauensport ein grundsätzlicher Interessenkonflikt. Dieser äußert sich nicht nur in Debatten, sondern auch konkret im Sport, sogar innerhalb queerer Sportgruppen. Er ist nicht irrelevant oder einfach lösbar, denn es geht um zwei mächtige Ideologien der Gegenwart, die von Inklusion und die von Schutzräumen, die hier aufeinanderprallen – die identitäre Vorstellung, dass es eine klare Hierarchie zwischen den von diesen Ideologien Betroffenen gebe, versagt dabei.

Transgeschlechtliche Frauen werden einerseits wesentlich stärker diskriminiert als cisgeschlechtliche, ­haben diesen gegenüber aber andererseits mitunter körperliche Vorteile im Sport. Was zählt mehr? Transgeschlechtliche Aktivisten und Aktivistinnen und jene Feministinnen, die Schutzräume für cisgeschlechtliche Frauen fordern, haben sich in einen emotionalen, dogmatischen Kampf verkeilt, bei dem ein falsches Wort ausreicht, um in den sozialen Me­dien zur Menschenfeindin erklärt zu werden. Das Lagerdenken in Opfergruppen wird hier problematisch. Es geht um körperliche Vorteile, um Verletzungsrisiken, um Chancen auf eine Sportkarriere.

Es hilft vielleicht, sich die Fakten nüchtern anzuschauen. Doch große Studien sind bislang rar, auch das ist ein Problem. Die, die es gibt, zeichnen ein differenziertes Bild. Eine Studie, die unter Mitgliedern der US-amerikanischen Luftwaffe, der U.S. Air Force, von 2004 bis 2014 durchgeführt und im British Journal of Sports Medicine veröffentlicht wurde, stellte fest, dass transgeschlechtli­che Frauen auch nach einem Jahr Hormontherapie körperliche Vorteile gegenüber ihren Kolleginnen hatten. Nach zwei Jahren aber, sagte einer der Autoren der Studie, der Kinderarzt Timothy Roberts, dem Sender NBC, seien ihre Fähigkeiten bei Push-ups und Sit-ups im Vergleich zu cisgeschlechtlichen Frauen »einiger­maßen gleichwertig« gewesen. Beim Lauf über 1,5 Meilen seien sie jedoch auch nach zwei Jahren noch um zwölf Prozent schneller gewesen als diese.

Roberts betonte, dass sich bei später Transition nie alle Unterschiede ausgleichen würden. Wer beispielsweise in der Pubertät höhere Testosteronwerte hatte, habe schma­lere Hüften. Es gebe Möglichkeiten, das pragmatisch zu lösen. Der Arzt plädierte dafür, auf olympischem Level zwei Jahre – statt wie derzeit ein Jahr – abzuwarten, bis transgeschlechtliche Frauen teilnehmen dürften. Aber: »Das gilt nicht für Freizeitsport und nicht für Jugendsport.« Wer das Geschlecht vor oder in der Pubertät angleiche, sagte Roberts, habe so gut wie keine sportlichen Vorteile.

Studien der transgeschlechtlichen Wissenschaftlerin Joanna Harper besagen, dass transgeschlechtliche Frauen im Ausdauersport keine sig­nifikanten Vorteile haben. Sie räumt aber ein, dass sie etwa im Basketball oder Volleyball Vorteile hätten. Es ist also kompliziert.

Zu fragen wäre daher: Was davon ist überhaupt relevant? Die Verbote im Highschool-Sport sind, das legt die Forschung nahe, reine Symbolpolitik.

Die Aufregung darüber wirkt absurd. In den USA gibt es, wenig überraschend, bereits Gerichtsprozesse: Mehrere Sportlerinnen in Connecticut klagen gegen die zwei jugendlichen transgeschlechtlichen Sprinterinnen Terry Miller und Andraya Yearwood. Den Klägerinnen zufolge sollen sie durch ihre männliche Anatomie Vorteile gegenüber den cisgeschlechtlichen Konkurrentinnen besitzen und damit seit 2017 15 Titel gewonnen haben. Ob dieser Fall statistische Aussagekraft hat oder schlicht Zufall ist, darüber kann man bisher nur spekulieren. Vorteile, das ist offensichtlich, werden nicht immer verschwinden, es gibt sie. Aber es hilft, sich in der erhitzten Debatte zwei Sachverhalte bewusst zu machen: die Schwächen des modernen Sports und die geringen Ausmaße des Problems.

Die große Schwäche des Sports, ähnlich dem Kapitalismus, besteht darin, dass er suggerieren muss, es gehe beim Wettbewerb gleich und fair zu, obwohl das nicht der Fall ist. In der Debatte wird diese Suggestion nicht thematisiert. Aus gutem Grund, denn sonst ließe sich Leistung nicht in einem solchen Ausmaß glorifizieren. Wenn es darum geht, Leistung ins Verhältnis zu ihren Voraussetzungen zu setzen, ist der Sport hier ­inkonsequent: Manchmal – bei der Trennung von Männersport und Frauensport – tut er es, in vielen anderen Fällen aber nicht.

Roberts zum Beispiel weist darauf hin, dass Frauen mit höheren Testo­steronwerten wesentlich erfolgreicher im Sport seien. Fast ein Drittel der jugendlichen Athletinnen habe hohe Testosteronwerte, im Vergleich zu rund zwei bis zwölf Prozent im Gesamt-Sample der Studie. Der Sen­der NBC berichtet, dass Olympia-Sportlerinnen höhere Testosteronwerte als die restliche weibliche Bevölkerung haben. Testosteron gewinnt. Trotzdem wird nicht, wie es eigentlich gerecht wäre, nach Testosterongruppen unterteilt. Im Basket­ball werden Menschen nur aufgrund ihrer Körpergröße aussortiert; wer 1,60 Meter groß ist, kann die Karriere schon vergessen. Große Menschen werden nicht ausgeschlossen, Spiele für kleine gibt es nicht: Eine offensichtliche Diskriminierung von kleinen Menschen.

Ähnlich einschneidend sind die soziale Faktoren. Nachweislich treiben Menschen mit einem armen und bildungsfernen Hintergrund deutlich weniger Sport. In den USA haben nichtweiße Jugendliche deutlich schlechteren Zugang zur Sport­infrastruktur. In vielen Frauensportarten, in denen kaum Geld verdient wird, sind Frauen aus wohlhabendem Haus stark überrepräsentiert, Ähnliches gilt für Männer in Randsportarten.

Wo also im Sport anfangen, wo aufhören mit den Kategorien? Das ist kein Freifahrtschein. Niemand sollte beispielsweise auf die Idee kommen, Männer und Frauen einfach deshalb gegeneinander antreten zu lassen, weil Sport stets unfair ist.

Es wäre stattdessen eine wichtige Gelegenheit, die Mechanismen des Sports grundsätzlich zu hinterfragen. Wonach unterteilen: Testosteronwerte? Ökonomischer Hintergrund? Klima? Gewicht und Größe? Sollte es Zusatzpunkte für rassistische Benachteiligung geben? Oder einen gemeinsamen Wettbewerb, der für ­unterschiedliche Fähigkeiten Positionen bereithält?

Bis dahin sollte beim Thema Trans das geringe Ausmaß des Problems reflektiert werden. Die trans­geschlechtliche Radsportlerin und Bahnrad-Weltmeisterin Veronica ­Ivy wies in einem BBC-Bericht darauf hin, dass transgeschlechtliche Sportler und Sportlerinnen seit 2004 an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen. Bisher hat das noch niemand getan. Es gibt kaum transgeschlechtliche Athletinnen mit Weltmeistertiteln. Das spricht nicht unbedingt dafür, dass der Frauensport von überlegenen transgeschlechtlichen Frauen überrannt wird, sondern eher dafür, dass für sie weiter hohe Hürden bei der Teilhabe be­stehen.

Ohnehin handelt es sich um eine kleine Minderheit. Ein Recht auf Teilhabe wäre angesichts dieser Zah­len nicht nur ethisch richtig, sondern auch pragmatisch. Probleme sollten erst angegangen werden, wenn sie auftreten. Vorauseilend alle Sorgen zu ignorieren, wäre aber auch falsch. Wenn bei einer Sportart nachweislich das Verletzungsrisiko für cisgeschlechtliche Sportlerinnen durch eine hinreichende Zahl an transgeschlechtlichen Frauen steigen sollte, scheint es angezeigt, diese Sportart nicht gemeinsam auszuführen. Dafür wären aber verlässliche Langzeitstudien nötig.

Solange das nicht der Fall ist, lohnt es sich, den Ball flachzuhalten. Und sich bewusst zu machen, dass sportlicher Erfolg auf individuellen Vorteilen beruht. Immer.