Small Talk mit Katja Lucke über das Dokumentationszentrum Prora auf Rügen

»Ein steinerner Ausdruck der NS-Ideologie«

Der Landtag Mecklenburg-Vorpommerns hat Mitte April dafür gestimmt, einen Teil des Gebäudekomplexes in Prora auf Rügen symbolisch zu kaufen und in den kommenden Jahren zusammen mit dem Bund mehrere Millionen Euro in die Sanierung zu investieren; zwischen 1936 und 1939 hatten die Nationalsozialisten auf der Ostseeinsel den »Koloss von Prora« gebaut, eine Anlage, in der unter der Leitung der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) 20000 »Volksgenossen« gleichzeitig Urlaub machen sollten. Die Zukunft des im Jahr 2000 eingerichteten Dokumentationszentrums ist durch die Investition gesichert: Bis 2026 soll ein erweitertes Bildungs- und Dokumentationszentrum entstehen. Die Jungle World sprach mit Katja Lucke, wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationszentrums Prora.
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Was ist Prora für ein Ort?
Wir haben es hier mit einer der größten architektonischen nationalsozialistischen Hinterlassenschaften zu tun. Hier sollte das KdF-Seebad Rügen entstehen. Der Gebäudekomplex ist ein steinerner Ausdruck der NS-Ideologie der Volksgemeinschaft, über die sich gerade an diesem Ort gut aufklären lässt. Bis Mai 1945 hatte hier niemand Urlaub gemacht. Zwangsarbeitende wurden hier nach Kriegsbeginn eingesetzt und teilweise untergebracht. Aber obwohl die KdF-Anlage nicht fertiggestellt wurde, hat Prora als Propagandainstrument einen enormen systemstabilisierenden Beitrag geleistet. Hier hätte die Volksgemeinschaft erfahrbar sein sollen. Das Versprechen war: »Ihr braucht nur noch schnell den Krieg gewinnen, dann könnt ihr Urlaub machen in Prora.«

Welche Hoffnung verknüpfen Sie mit der Entscheidung des Landtags?
Es gibt jetzt einen neuen Standort, der staatlich geschützt und damit gesichert ist und an dem das Dokumentationszentrum mit dem bisherigen Prora-Zentrum zusammenarbeiten wird. Wegen der Privatisierung des ganzen Komplexes war nicht klar, wie lange sich unser Dokumentationszentrum halten würde, und das, obwohl im letzten Jahr trotz der Covid-19-Pandemie mehr als 70 00 Besucher und Besucherinnen hier waren. Wir müssen uns nicht mehr dafür rechtfertigen, warum es uns an einem solchen Ort braucht.

Sieht man die historischen Spuren an Ort und Stelle noch?
Die Sanierungen haben ihre Spuren hinterlassen, immer weniger historisch Originales ist noch zu erkennen. Umso wichtiger ist es, dass es ein Dokumentationszentrum gibt, das auch die alte Architektur zeigt. Die Sanierungen sind für uns eine große Herausforderung. Es gibt immer wieder Besuchende, die den historischen Kontext beim Blick auf die weiße Fassade nicht mehr erahnen. Einige meinen sogar: »Es war nicht alles schlecht damals.« So nah am Meer hätte man doch schön Urlaub machen können. Die propagandistische Absicht, durch einen Ort wie Prora die NS-Volksgemeinschaft zu erschaffen, haben heute nicht mehr alle vor Augen.

Umso wichtiger ist es, den Ort zu kontextualisieren.
Ja, Überwindung von Geschichte findet nicht durch ihre Überformung statt. Prora bietet die Möglichkeit zu erklären, wie die NS-Ideologie funktionieren sollte und funktioniert hat. Das Ensemble ist trotz des Umbaus noch erfahrbar und man kann daran die NS-Ideologie in ihrer Attraktivität für die Bevölkerung nachvollziehbar machen. Hier kann man versuchen, zu er-klären, warum so viele freiwillig mitgemacht hatten. Ein dauerhaftes und zentrales Bildungs- und Dokumentationszentrum wird dabei helfen, das zu verstehen.