IMPRINT: Ein Gespräch mit Rolle, der für sein Fotobuch »Copines« in die südfranzösische Stadt Perpignan reiste

»Wenn du in eine Seitenstraße gehst, bist du in einer anderen Welt«

In seinem im Verlag Golden Press erschienenen Fotoband »Copines« sind neben den zwischen 2010 und 2017 entstandenen Aufnahmen, die der Fotograf Rolle in Sofia gemacht hat, auch Bilder aus dem Viertel Saint-Jacques in der südfranzösischen Mittelmeerstadt Perpignan zu sehen. In dem ursprünglich jüdischen Viertel leben seit etwa 1820 auch viele Roma, die aus Spanien übergesiedelt waren. Besonders fallen in Saint-Jacques die vielen Graffiti an den Wänden ins Auge, die der Fotograf mit Schwarzweißfilm festgehalten hat.
Interview Von


 

Rolle, welchen Bezug hast du zu Perpignan?
Mein Freund Helmut hat in Calce bei Perpignan in den Weinbergen gearbeitet. 2010 haben Julia und ich ihn dort besucht. Als wir durch Saint-Jacques gegangen sind, fielen uns diese Listen an den Wänden auf. Ich habe das vorher und nachher in dieser Form nicht wieder gesehen.

Was hat es mit den Listen auf sich?
Wirklich herausgefunden haben wir es nicht. Es sind Namenslisten; die Namen sind meistens untereinander angeordnet, und sie sind mit Jahreszahlen versehen. Immer wieder sind auch einzelne Namen durchgestrichen. Wir haben versucht, ein System herauszulesen. Es könnte ein Ranking von Freundschaften zu ­unterschiedlichen Zeiten sein. Der Fotografin Martha Cooper fiel dazu ein, dass es ja wie auf Facebook sei, wo die Menschen sich öffentlich liken und unliken können. Einige Listen enthalten nur Mädchen­namen – ein französischer Freund, der die Bilder sah, vermutete, dass Jungs an den Wänden die Mädchen auflisten, die sie abgeschleppt ­haben. ­»Co­pines« ist Französisch für Freundinnen.

Weiß man, wer die Listen an die Wände malt?
Wahrscheinlich Kinder und Jugendliche aus dem Viertel. Man kann aber nur vermuten, wie alt die Schreiberinnen oder Schreiber waren. Die Höhe der Schriftzüge an den Wänden ist da ein Anhaltspunkt.

Wann sind die Aufnahmen entstanden?
Zwischen 2010 und 2017 bin ich dreimal in Perpignan gewesen, bei den Besuchen habe ich jeweils Aufnahmen gemacht. Ich wollte diese tags festhalten und auch dokumen­tieren, wie das Viertel sich wandelt.

Hast du mit Menschen im Viertel über die Listen gesprochen?
Ja, aber die haben nur gefragt, warum wir das machen. Die konnten nicht verstehen, warum ich das fotografiere. Einmal kam jemand zu mir und sagte: »Warum fotografierst du das? Das ist doch nicht schön! Fotografier’ lieber den Himmel, der ist schön!« So etwas ist öfter passiert.

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