Zur Debatte über das generische Maskulinum

Genus und Geschlecht

Schon Mark Twain hatte mit der deutschen Grammatik, was das Geschlecht angeht, seine Probleme – allerdings ganz andere als diejenigen, die heute für geschlechtergerechte Sprache plädieren.

Mark Twain hatte so seine Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. In seinem Essay »The Awful German Language« von 1880 kommentiert er neben anderen Eigenheiten des Deutschen die Handhabung des grammatischen Geschlechts: »Every noun has a gender, and there is no sense or system in the distribution; so the gender of each must be learned separately and by heart.« Das Ergebnis ist eine den englischen Muttersprachler irritierende Diskrepanz zwischen dem Genus und dem tatsächlichen Geschlecht (oder der Geschlechtslosigkeit) des Bezeichneten: »In German, a young lady has no sex, while a turnip has. (…) Dogs are male, cats are female – tomcats included, of course.«

Sprache strukturiert Denken und Wahrnehmung, aber wenn sie das so direkt und restriktiv täte, wie mit­unter behauptet wird, wäre kaum zu erklären, welch fundamental gegensätzliche Positionen und Ideologien sich in derselben Sprache ausdrücken lassen.

Dass diversen Körperteilen mal dieses, mal jenes grammatische ­Geschlecht zukommt, nicht aber das der Person, der sie gehören, ­bereitet Twain gender trouble: »The reader will see that in Germany a man may think he is a man, but when he ­comes to look into the matter closely, he is bound to have his doubts; he finds that in sober truth he is a most ridiculous mixture; and if he ends by trying to comfort himself with the thought that he can at least depend on a third of this mess as being manly and masculine, the humiliating second thought will quickly remind him that in this respect he is no better off than any ­woman or cow in the land.« Um die geschlechtliche ­Integrität der Frau sei es noch schlechter bestellt: »In the German it is true that by some oversight of the ­inventor of the language, a woman is a female; but a wife (Weib) is not – which is unfortunate. A wife, here, has no sex; she is neuter; so, ac­cording to the grammar, a fish is he, his scales are she, but a fishwife is neither.« Das Deutsche kam Twain, wie man in heutigem Jargon sagen könnte, ziemlich queer vor.

Die Beziehung zwischen Sprache und Geschlechterordnung – das soll das Beispiel veranschaulichen – ist kompliziert und kann selbst in relativ nahe verwandten Sprachen, die gleichermaßen patriarchal geprägt sind, sehr unterschiedliche Formen annehmen. Im Vergleich zum Eng­lischen oder auch zu romanischen Sprachen fällt das Deutsche durch ein eher loses Verhältnis zwischen Genus und sozialem oder biologischem Geschlecht auf. Es gibt zwar sehr wohl einige Regeln dafür, wie deutsche Substantive zu ihrem Genus kommen. Zum Beispiel sind Sub­stantive, die auf -heit gebildet werden, weiblich: die Freiheit, die Dummheit, die Klugheit. Diese Endung drückt aber weder aus, dass die fraglichen Eigenschaften an sich weiblich konnotiert wären, noch ­verleiht ihnen ihre weibliche Bezeichnung eine solche Konnotation. So verhält es sich auch in einem Großteil der Fälle, in denen das Genus nicht aus solchen morphologischen Regelmäßigkeiten resultiert. Man nehme zum Beispiel Besteck: Das universell als Phallussymbol anerkannte Messer ist sächlich, die penetrierende Gabel weiblich, männlich dagegen der Löffel, unbeschadet seiner weiblichen Rundung und seiner Verbindung zum Flüssigen.

Anders liegt die Sache freilich bei den meisten Substantiven, die ­Männer und Frauen und, mit etwas größeren Abstrichen, männliche und weibliche Tiere und Pflanzen bezeichnen. Dass der Hund männlich ist, mag Zufall sein; beim Rüden ist es keiner. »Das Weib« erscheint hier durchaus als Ausnahme. »Das Mädchen« ist als Diminutiv auf -chen regulärerweise sächlich, wie das Männchen und das Weibchen; dass das Wort jedoch zum Pendant zu »Junge« geworden ist, erscheint als sprachgeschichtlicher Zufall.

Die meisten Personenbezeichnungen gibt es in einer männlichen Grundform und einer abgeleiteten weiblichen Form, die mit der End­silbe -in gebildet wird: der Bäcker, die Bäckerin. Das Weibliche erscheint so schon auf der Ebene der Wortbildung als Abweichung von der männlichen Norm. Man kann dem Deutschen im Vergleich zu ­einigen anderen Sprachen zugute halten, dass es immerhin ver­schiedene Wörter für »Mann« und »Mensch« gibt, doch etymologisch bedeutet »Mensch« ursprünglich »Mann«. Die Person dagegen erbt ihr weibliches Genus vom lateinischen persona, was ursprünglich eben nicht »Person«, sondern »Theatermaske« bedeutete.

In der öffentlichen Debatte über das, was man heutzutage gern geschlechtergerechte Sprache nennt (was gesellschaftskritischem Denken ebenso suspekt sein sollte wie die Rede von sozialer Gerechtigkeit), spielt die Kritik an geschlechtsspezifischer Bezeichnung mit männlicher Grundform und abgeleiteter weiblicher Form allerdings kaum eine Rolle; im Zentrum stehen stattdessen das generische Maskulinum und das Gendern. Ersteres, so die auf feministischer Seite dominante ­Argumentation, mache Frauen sprachlich »unsichtbar«; es sei unzumutbar, dass nichtmännliche Personen sich in generisch maskulinen Bezeichnungen »mitgemeint« fühlen sollen. Man forderte also, stets auch die weibliche Form zu nennen. Schriftlich verwendete man bis vor einigen Jahren der Kürze, aber auch der Distinktion halber gern das Binnen-I: »BäckerInnen«.

Der Einwand, dass diese Art der Sprachreform mehr und nicht weniger sprachliche Differenzierung zwischen den Geschlechtern bedeutet, setzte sich nicht durch. So entstand der Eindruck, der Kampf gegen das generische Maskulinum und für das Binnen-I sei die feministische Position – zum Verdruss beispielsweise jener Frauen, die aus einer durchaus emanzipierten Haltung heraus darauf beharrten und beharren, für sich selbst auch im Singular die männliche Form zu verwenden (»Ich bin Lehrer von Beruf«, »Als Atheist halte ich davon nichts«). Die Frage, warum es im feministischen Sinne als Fortschritt zu betrachten sein sollte, die Regel noch gründlicher durchzusetzen, dass Frauen nur durch Hinzufügung der weiblichen Endung zur männlichen Grundform bezeichnet werden können, wird nicht einmal in dem Sonderfall gestellt, in dem die Grundform üblicherweise geschlechtsneutral verwendetet wird: Die längst obsolet ge­wordene Gästin wird dem Gast wieder zur Seite gestellt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese antigenerische Sprachreform ihren Verfechterinnen auf die Füße fiel, als die Kritik am ­sogenannten binären Geschlechtermodell an Bedeutung gewann. Der Zwang, stets ein Geschlecht zuzuweisen, erwies sich nun als problematisch. Dass man selbst diesen Zwang gerade erst erheblich radikalisiert hatte, wurde allerdings verdrängt. Die Lösung bestand darin, das Binnen-I durch das Gender-Sternchen, den Unterstrich oder neuerdings den Doppelpunkt zu ersetzen, die »nichtbinäre« Identitäten repräsentieren sollen. Am eigentlichen Problem der nichtgenerischen Sprach­politik ändert dies jedoch nichts, denn – Sternchen hin, Unterstrich her – das Deutsche kennt nach wie vor keine dritte Form von Personenbezeichnungen, die weder männlich noch weiblich wäre; und Pronomen gibt es zwar im Neutrum, doch nichtbinärgeschlechtliche Menschen als »es« zu bezeichnen, ist aus naheliegenden Gründen keine sinnvolle Option.

Mit all dem soll nicht behauptet sein, dass die Einwände gegen das generische Maskulinum allesamt hinfällig wären, und erst recht lässt sich dieses nicht mit dem konservativen Argument verteidigen, Sprachreformen seien »künstlich«, also schon deshalb abzulehnen, weil sie neu und ungewohnt sind. Sprache verändert sich stets, und dies keineswegs »naturwüchsig«, sondern häufig durch bewusste, auch ideologisch motivierte Neuerungen. Umgekehrt macht man es sich aber ebenso zu einfach, wenn man das generische Maskulinum schon allein deswegen ablehnt, weil es eben das Maskulinum ist, oder jegliche Einwände gegen das Gendern mit Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt unbesehen als Ausdruck antifeministischer Ressentiments disqualifiziert.

Sprache strukturiert Denken und Wahrnehmung, aber wenn sie das so direkt und restriktiv täte, wie mitunter behauptet wird, wäre kaum zu erklären, welch fundamental gegensätzliche Positionen und Ideo­logien sich in derselben Sprache ausdrücken lassen. Sprache bietet stets die Möglichkeit, ihre eigenen Grenzen zu erweitern und etablierte begriffliche Verhältnisse umzudeuten oder anderweitig zu verändern. Das Patriarchat lässt sich allein durch Sprachreform nicht überwinden, aber es lässt sich auch nicht durch Sprachkonservatismus vor dem ­Niedergang bewahren.

Feministische Sprachkritik – jedenfalls wenn sie fortschrittlich, also universalistisch sein will – sollte sich zunächst einmal daran stoßen, Menschen überhaupt geschlechtsspezifisch zu bezeichnen. Geschlechterkategorien mögen für viele Menschen eine essentielle Komponente ihrer Identität sein, aber sie be­dürfen an sich keiner besonderen sprachlichen Repräsentation in Form von Genus, Pronomen oder Sonderformen von Personenbezeichnungen. Bei anderen identitären Kategorien gilt das weitestgehend als selbstverständlich. Finden sie ausnahmsweise doch einmal ­besonderen sprachlichen Niederschlag, zum Beispiel wenn eine ­Anrede Adel oder Familienstand anzeigt, wird dies heutzutage zu Recht als eher kritikwürdig empfunden.

Das generische Maskulinum durch eine nichtgenerische, also dem Anspruch nach alle Geschlechtsidentitäten einzeln berücksichtigende Form zu ersetzen, verfehlt die Wurzel des Problems und krankt zudem an dem Irrtum, das grammatische Geschlecht sei direkt mit dem sozialen Geschlecht verkoppelt. Das Genus per se schreibt im Deutschen keine Geschlechterrollen zu. Auch der superstraighteste Macker könnte den Satz über die Lippen bringen: »Ich würde nur mit jemandem Sex ­haben, der eine Vagina hat«, ohne sich durch das Maskulinum zum ­Zusatz »no homo« veranlasst zu fühlen.

Die englische Grammatik hat den Vorteil, derart weitgehend geschlechtsneutral zu sein, dass dies­bezüglich fast nur über Pronomen diskutiert werden muss. Doch das war nicht immer so, eigene weibliche Formen gingen erst im Mittelenglischen verloren. Bemerkenswerterweise sind Frauen dadurch keineswegs sprachlich »unsichtbar« geworden. Ob das zu gesellschaftlichen Fortschritten im Sinne des Feminismus beigetragen hat, lässt sich freilich bezweifeln. Ohnehin kennt die Mehrheit der Sprachen der Welt kein grammatisches Geschlecht, darunter zum Beispiel Türkisch, Ungarisch und Japanisch. Dem Patriarchat in jenen Sprachräumen scheint es nicht geschadet zu haben.