Die Taliban streben nach internationaler Anerkennung

Diplomatie mit Jihadisten

In Moskau verhandelten die Taliban mit ihren Nachbarländern und Regionalmächten wie Russland und China. Das islamistische Regime kam damit dem Ziel näher, international anerkannt zu werden.

Es war der wohl wichtigste diplomatische Auftritt der Taliban seit ihrer Machtergreifung: Am Mittwoch voriger Woche trafen sich in Moskau Vertreter asiatischer Staaten zu Verhandlungen mit den in Afghanistan herrschenden Islamisten. Anwesend waren neben russischen Regierungsrepräsentanten auch Vertreter Chinas, Pakistans, des Iran, Indiens und der fünf zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan, Turkmenistan und Kirgistan.

Die USA hatten ihre Teilnahme kurzfristig unter Verweis auf »logistische Gründe« abgesagt – wenige Stunden später wurde bekannt, dass der US-Sondergesandte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, zurückgetreten war. Es erschien wie ein Zeichen für die schwindende Bedeutung des Westens nach dem Truppenabzug der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan. Stattdessen lieferte die Konferenz Hinweise, wie die asiatischen Regional- und Großmächte, allen voran China und Russland, die seit Jahren auf eine sogenannte multipolare Weltordnung hinarbeiten, auf den Machtwechsel in Afghanistan reagieren.

Wie Russland hat auch China in den vergangenen Jahren enge diplomatische Kontakte mit den Taliban geknüpft.

Russlands Afghanistan-Beauftragter, Samir Kabulow, rief zur Achtung der Menschenrechte auf, hob die Bemühungen der Taliban zur Stabilisierung Afghanistans hervor und betonte, sie würden »an der Verbesserung der Regierungsführung und der Achtung der Menschenrechte arbeiten«. Zugleich rief Kabulow die sogenannte internationale Gemeinschaft auf, ihre »Voreingenommenheit« gegen die Taliban aufzugeben und dem afghanischen Volk nach Kräften zu helfen. Zwar ist auch Russland noch nicht bereit, die Taliban als Regierung Afghanistans offiziell anzuerkennen, wie es die Islamisten auch in Moskau forderten, doch hatte der russische Präsident Wladimir Putin vor der Konferenz angekündigt, die Taliban zumindest nicht länger als Terrororganisation einstufen zu wollen. In der gemeinsamen Abschluss­erklärung der Konferenzteilnehmer hieß es, man müsse im Umgang mit Afghanistan »die Realität berücksichtigen, dass die Taliban im Land an die Macht kommen, unabhängig davon, ob die neue afghanische Regierung von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird«.

Dennoch endete die Moskauer Afghanistan-Konferenz ohne feste Finanzierungszusagen für das islamistische Regime in Kabul. Konkrete Zusagen über Hilfsgelder in Höhe von einer Milliarde Euro gab bislang nur die EU beim virtuellen G20-Gipfel an 12. Oktober. Stattdessen kamen die Konferenzteilnehmer darin überein, in der Abschlusserklärung die Einberufung einer Geberkonferenz unter Leitung der UN zu fordern, bei der vor allem jene Länder die finanzielle Hauptlast tragen sollen, »deren Militärkontingente in dem Land in den vergangenen 20 Jahren präsent waren«. Die USA samt der Nato-Staaten sollen demzufolge zahlen und die Taliban-Herrschaft stabilisieren. Russland sagte bislang nur Lieferungen von Hilfsgütern zu.

Nach dem Abzug der USA konkurrieren die Nachbarländer Afghanistans um Einfluss in der Region. Die russische Regierung, die bereits seit Jahren ihre diplomatischen Kontakte zu den Taliban intensiviert, befürchtet eine von Afghanistan ausgehende Destabilisierung der islamisch geprägten ehemals sowjetischen Republiken in Zentralasien. Sie hält sich mit Kritik an den Verbrechen der Taliban zurück, forderte von diesen jedoch die Zusage, internationale Terroraktivitäten von afghanischem Boden zu unterbinden und entschlossen gegen den »Islamischen Staat« vorzugehen. Russland, das während der Kriege in Tschetschenien, als Terroranschläge in russischen Städten Hunderte Opfer forderten, die Taliban 2003 offiziell zur Terrororganisation erklärte, will heutzutage mit ihnen kooperieren.

Eine weitere Entscheidung aus der Zeit des war on terror hat Russland endgültig revidiert: Nach 2001 hatte das Land akzeptiert, dass die USA in Usbekistan und Kirgistan Militärbasen errichteten, die mittlerweile wieder geschlossen sind. Mitte Oktober meldeten russische Nachrichtenagenturen, die Regierung werde künftig keine US-Militärbasen in Zentralasien mehr akzeptieren. Stattdessen stärkt Russland seine eigene Stellung als militärische Schutzmacht in den ehemals sowjetischen zentralasiatischen Staaten. Am Sonntag endete eine sechs Tage lange Militärübung unter Führung Russlands an der tadschikisch-afghanischen Grenze. Im Rahmen des Militärbündnisses Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), dem unter anderem Kasachstan, Kirgistan und Belarus angehören, führten 4 000 Soldaten mit Panzern und Artillerie Manöver aus. Bereits im August hatte die russische Armee mit usbekischen und tadschikischen Truppen Manöver abgehalten.

Auch für China stehen bei seinen Beziehungen zu den Taliban die eigenen Sicherheitsinteressen im Vordergrund. Die chinesische Regierung fürchtet seit Jahren separatistische Bewegungen im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang, das an Afghanistan grenzt, und geht mit drakonischen Maßnahmen gegen die dortige islamische Bevölkerungsgruppe der Uiguren vor. Russland und China eint die Sorge vor einer Destabilisierung ihrer islamisch geprägten Regionen beziehungsweise Einflusssphären. Im August hielten beide Mächte gemeinsame Militärmanöver im Nordwesten Chinas ab, bei denen erstmals russische Einheiten auf chinesischem Territorium agierten, um die »Bekämpfung des internationalen Terrorismus« zu üben. Beide Staaten streben in erster Linie die Festigung der Taliban-Herrschaft an, von der sie stabile Verhältnisse erhoffen. Wie Russland hat auch China in den vergangenen Jahren enge diplomatische Kontakte mit den Taliban geknüpft, die im Gegenzug versprachen, keine terroristischen Aktivitäten auf chinesischem Staatsgebiet von Afghanistan aus zuzulassen.

Die Sicherheitsinteressen Chinas überwiegen derzeit auch deutlich dessen ökonomischen Interessen. Bisherige chinesische Investitionen in Afghanistan – wie etwa 2007 in die Kupfermine von Mes Aynak oder in die Ölförderung am Amu Darya – scheiterten oder liegen brach. In der chinesischen Öffentlichkeit dominieren derzeit Stimmen, die vor umfassenden Investitionen, etwa im Rahmen der Seidenstraßeninitiative, warnen.

Als der wichtigste regionale Profiteur der Machtergreifung der Taliban gilt Pakistan, dessen Geheimdienst ISI die Islamisten seit Jahren unterstützt. Mit dem Sturz der westlich unterstützten afghanischen Regierung gewinnt Pakistan an Einfluss im Nachbarland, es ist auch ein Schlag gegen Indien. Indien sah die afghanische Regierung in den vergangenen Jahren als Gegengewicht zu den Rivalen Pakistan und China und zahlte insgesamt drei Milliarden US-Dollar an Wirtschaftshilfe. Nun hat Indien einen wichtigen regionalen Verbündeten verloren. Doch der Sieg der Taliban birgt auch für Pakistan das Risiko weiterer innerer Destabilisierung. Der pakistanische Ableger der Taliban, die Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), sieht sich vom Erfolg seiner Waffenbrüder in Afghanistan angespornt. In den vornehmlich von Paschtunen bewohnten Regionen im Westen Pakistans kam es in den vergangenen Wochen zu zahlreichen Terrorakten, die nicht nur die Taliban, sondern auch der »Islamische Staat Khorasan« (IS-K) verübten.

Die iranische Führung sieht die Rückkehr der Taliban an die Macht ebenfalls mit gemischten Gefühlen. Das schiitische Mullah-Regime, das 1998 am Rande eines offenen Kriegs gegen das von den Taliban beherrschte Afghanistan stand, unterstützte 2001 die US-Intervention, ging jedoch im Laufe der andauernden Stationierung westlicher Truppen in Afghanistan dazu über, Fraktionen der Taliban sogar mit Waffen zu beliefern. Bereits 2019 trafen sich Vertreter der Taliban mit dem damaligen iranischen Außenminister in Teheran. Mit dem Abzug des gemeinsamen Feindes USA könnten jedoch die religiösen Differenzen wieder die Oberhand gewinnen. Der Iran agiert als Schutzmacht der in Afghanistan lebenden Schiiten und bemüht sich um die Beteiligung von ethnischen Minderheiten wie der Hazara an der Macht in Kabul, wovon aber bislang wenig zu sehen ist. Spannungen könnten auch wegen des Drogenanbaus, der dem Iran ein enormes Drogenproblem beschert, wie auch wegen Fluchtbewegungen aus Afghanistan rasch wachsen. Bereits jetzt leben fast drei Millionen Afghanen im Iran, die meisten von ihnen als Flüchtlinge.

Auch die USA führten am 11. Oktober in Katar Gespräche mit den Taliban. Den USA zufolge ging es vor allem um sicherheitspolitische Aspekte. Die USA insistierten auf verbindlichen Zusagen für die Evakuierung ehemaliger Mitarbeiter und Verbündeter sowie der Einhaltung der letztjährigen Vereinbarungen zwischen der Regierung Donald Trumps und den Taliban, die verhindern sollten, dass Afghanistan abermals zu einer »Terrorbasis« wird.