Verpatztes Match
Es war ein sensationelles Ende der Weltmeisterschaft im Schach. Der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen verteidigte in der vorigen Woche seinen Titel, indem er seinen Herausforderer Ian Nepomnjaschtschij in der neunten und der vorentscheidenden elften Partie schlug. Damit führte der Norweger uneinholbar und die übrigen drei Runden wurden nicht mehr ausgespielt. Vier Siege für Carlsen, keiner für Nepomnjaschtschij – so ein Ergebnis gab es zuletzt 1921, als der Kubaner José Raúl Capablanca den Deutschen Emanuel Lasker vernichtend schlug.
Im heutigen Profischach sind solche Ergebnisse eine Seltenheit. Den Spielern und Spielerinnen unterlaufen im klassischen Zeitformat schlicht zu wenig grobe Patzer. Stattdessen sind Fehler zumeist subtiler, führen zu graduellen Positionsverschlechterungen und in der Folge zu leicht unausgeglichenen Endspielen, in denen es keineswegs immer möglich ist, den Vorteil zum Sieg zu nutzen. Nepomnjaschtschij leistete sich jedoch in drei Partien grobe Patzer, die in jeweils nur einem Zug eine Niederlage kaum noch abwendbar machten. Damit unterbot er nicht nur sein eigenes Niveau, sondern – wie viele Kommentatoren fanden und der Russe selbst nach der achten Runde einräumte – auch das eines Großmeisters.
Die neunte Partie begann vielversprechend. Nepomnjaschtschij, der am Pausentag Sergej Karjakin, einen ehemaligen Herausforderer Carlsens, zur Unterstützung hatte einfliegen lassen, erschien zum Spiel mit einer neuen Frisur und sichtlich motiviert. Er wechselte von der bislang fruchtlosen Spanischen Partie zur Englischen Eröffnung. Doch nachdem Carlsen anfänglich sogar einen Bauern hatte aufgeben müssen, unterlief Nepomnjaschtschij ein grober Fehler, er stellte einen Läufer ein.
In der zehnten Partie spielte der Russe dann nicht einmal auf Sieg, sondern setzte sich, wie er später in der Pressekonferenz sagte, das »realistischere Ziel« Remis. Um noch Weltmeister zu werden, hätte er zu diesem Zeitpunkt drei von vier Runden gewinnen müssen. Stattdessen verlor er zwei Tage später auch die elfte Partie nach einem Patzer. Er übersah eine offensichtliche Zugfolge, in der sein König sich schutzlos Carlsens Dame und später weiteren Figuren aussetzen musste. Ein derartiger Fehler würde ihm normalerweise nicht einmal beim Blitzschach passieren, sagte er anschließend.
Es scheint, als habe die zermürbende sechste Partie, Carlsens erster Sieg, Nepomnjaschtschij gebrochen. Sein Leichtsinn am Brett, von dem man dachte, er habe ihn mittlerweile abgelegt, war nach dieser Partie zurück. Die Fehler unterliefen ihm, weil er sich in Sicherheit wähnte, während nahezu alle kommentierenden Großmeisterinnen die Gefahren sofort erkannten. Unklar bleibt, ob der Russe in Bestform in der Lage gewesen wäre, Carlsen zu schlagen. So hatte der Weltmeister jedoch leichtes Spiel und verteidigte überzeugend seinen Titel zum fünften Mal.
Nach dem Match veröffentlichte Carlsen ein amüsantes Video, das sein Team von Sekundanten vorstellte, zu dem auch die zwei ebenso jungen wie talentierten Großmeister Jorden van Foreest und Daniil Dubow gehörten. Letzteren kritisierte Sergej Karjakin anschließend auf Twitter, weil er als Landsmann Nepomnjaschtschijs dessen Gegner geholfen habe. Dubow scheint dieser russische Nationalismus jedoch relativ kalt zu lassen, während Karjakin auf seinen Kommentar hin mangelnde Sportlichkeit vorgeworfen wurde, die auch Nepomnjaschtschijs würdevollem Verhalten während des gesamten Matchs nicht entsprach.