Homestory

Homestory #4

Der Palmenstrand lag im Posteingang. Als Anhang einer der vielen Nachrichten, die die Redaktion der Jungle World täglich von Menschen aus aller Welt bekommt. Sanfte grüne Palmwedel vor sattem blauem Himmel, weiß leuchtendem Sand und türkisblauem Meer. Manche Menschen, die gerade an solchen Orten verweilen können, haben es wohl richtig gemacht. Andere hingegen irgendetwas falsch: Ein Blick aus dem Fenster im Berliner Homeoffice zeigt graue Häuser vor grauem Himmel. Trotz Decke auf dem Schoß und ste­tiger Zufuhr an Heißgetränken friert man in der zugigen Wohnung. Was tun gegen das Fernweh und den Winterblues? Ohne Fernflie­gerei bleibt für etwas Karibik-Gefühl da nur der Besuch eines seltsamen Vergnügungsparks unter einer riesigen Kuppel mitten in der ostdeutschen Provinz. In dem gut beheizten Raum unter dem Glasdach findet sich alles, was nach allgemeiner Meinung zu einem Urlaub in den Tropen gehört – außer die Einwohnerinnen und Einwohner jener Regionen.

Wenn nun diese aber auch einmal Lust auf etwas »Exotik« haben, wo gehen sie dann hin? Auf einer tropischen Insel, auf der die Menschen ab und zu eine Auszeit von enormer Hitze, Moskitos, Überschwemmungen und Wirbelstürmen brauchen, könnte man einen seltsamen Vergnügungspark unter einer riesigen Kuppel bauen – »German Winter World«. Herzstück der Anlage ist ein detailverliebter Autobahnabschnitt, rundherum gruppiert sind die Unterkünfte für die Gäste, wahlweise biedere Reihenhäuser oder charmant verfallende Plattenbauten. Gastronomiebuden verbreiten Sauerkraut- und Brastwurstdämpfe in der wohltemperierten Luft, die konstant auf ein Grad Celsius gekühlt wird. Unter kahlen deutschen Eichen beziehungsweise vereinzelten Fichten und auf akurat geschnittenen Rasenflächen (nicht betreten!) liegt etwas Schneematsch, hier und da finden sich auf den Wegen zwischen den Attraktionen gutplatzierte Hundehaufen und Glasscherben für das Großstadtfeeling. Highlight für die Kinder ist das achtstöckige Parkhaus, in dem sie mit viel zu großen Autos in viel zu kleine Parklücken fahren dürfen. Für stimmungsvolles Ambiente sorgen regelmäßige Ansagen in schneidendem Tonfall, was alles zu tun oder zu unterlassen ist, dazwischen laufen die größten Hits von Helene Fischer. Im »Behördendschungel« dürfen die Gäste versuchen, verschiedene Anträge zu stellen, für jeden vierten Ablehnungsbescheid winkt ein Tom­bolagewinn. Freilaufende Katzen und Schäferhunde sowie freikackende Taubenschwärme vermitteln einen Eindruck der manig­faltigen deutschen Fauna. Die Frage ist nur, ob für den Eintritt 3G, 2G oder 2G+ gelten soll – oder ob er nur Geimpften beziehungs­weise Besitzerinnen und Besitzern gut gefälschter Impfpässe vorbehalten sein soll. Das muss wohl noch diskutiert werden.