Als »Basic Instinct« 1992 im Kino startete, wurde dem Film Homophobie vorgeworfen

Teuflisch und divine

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Der Film ist aber vor allem noch etwas anderes: eine Hommage an das klassische Hollywood und an den Film Noir. Beizeiten mutet »Basic Instinct« gar wie eine Neuinterpretation von Hitchcocks »Vertigo« an. Beide Filme spielen in San Francisco, in beiden sind gewissermaßen kastrierte Männer (James Stewart spielt einen pensionierten, Michael Douglas einen suspendierten Polizisten) in den Bann einer blonden Frau gezogen. Genau so, wie Kim Novak in »Vertigo« zwei Charaktere spielt, gibt es auch in »Basic Instinct« eine Reihe an Doppelgängerinnen, eine davon Roxy, die so eingeführt wird, dass sie vom Publikum zunächst für Catherine gehalten wird. Die Einstellungen, das Licht, das Spiel mit Schatten, das symbolhafte Rauchen, das alles kennt man aus dem Film Noir, in dem, wie auch bei »Basic Instinct«, Kriminalfälle als Plot dienen. Was man aus dem Film Noir hingegen nicht kennt, ist expliziter Sex oder gar Homosexualität.

Filmstill aus »Basic Instinct«

Ob Catherine (­Sharon Stone) wirklich eine Mörderin ist, verrät der Film nicht – ihre Freundin Roxy (Leilani Sarelle) treibt die Eifersucht allerdings zu einem Mordversuch

Bild:
Studiocanal

Der Motion Picture Production Code, auch als Hays Code bekannt, der 1934 in Kraft trat, war ein puritanisches Regelwerk, dem sich die großen US-Studios verpflichteten und das so ziemlich alles zu zeigen verbot, was auch nur irgendwie unsittlich sein könnte. Der Film Noir selbst, der seine Hochzeit in den vierziger und fünfziger Jahren hatte, war schon damit beschäftigt gewesen, die Grenzen des Zeigbaren auszuweiten – im Rahmen seiner engen Möglichkeiten. »Basic Instinct« ist auch in diesem Sinne als Hommage zu verstehen: als eine endlich unzensierte Version eines Film Noir, der das, was vorher noch aufwendig kaschiert, ­unterdrückt, verschleiert werden musste oder nur in Andeutungen gezeigt werden konnte, endlich zu sehen ist. Es mag für manche paradox klingen, doch auch die lesbischen Figuren mitsamt ihrer erotisierten Darstellung sind nicht nur Ausdruck eines viel beschworenen männlichen Blicks, sondern sie sind Ausdruck einer in Hollywood am Ende der Reagan-Ära wieder erblühenden Liberalität, sie sind gerade auch der Beweis für eine neue Selbstverständlichkeit. Und die Figuren sind so kompliziert gebaut, dass sie als Wichs­phantasie nicht taugen: Natürlich ist die lesbische Frau eine der sexuellen Phantasien eines heterosexuellen Mannes, doch der Zuschauer, der von Roxy erregt wird, wird gleichzeitig von einer butch erregt – einer der vielen subversiven Züge des Films.

Hollywood-Filme enden selbst heutzutage noch oft damit, dass zuletzt die im Film gestörte traute ­Seligkeit wiederhergestellt ist, die sich laut Drehbuchautoren anscheinend am anschaulichsten so schildern lässt, dass man die Hauptfiguren in die Langeweile der Kleinfamilie entlässt. Nicht so bei »Basic Instinct« – vielmehr ist das Finale hier ein subversiver Kommentar auf genau diese konventionelle Erzählweise. Zunächst sieht es aber nicht danach aus: Catherine und Nick sprechen sich aus und sind ein Paar. Dass die bisexuelle und promiske Catherine sich am Ende doch auf einen Mann einlässt, würden manche wohl in ­denunziatorischer Absicht als heteronormativ bezeichnen – doch das Gegenteil ist der Fall. Nach leidenschaftlichem Sex liegen die beiden nebeneinander im Bett, Nick raucht eine Zigarette. Catherine fragt ihn, was sie jetzt tun werden, seine Antwort lautet: »Fuck like minks, raise rug rats and live happily ever after.« Während er diese Worte spricht, fährt die Kamera auf das Gesicht von Catherine, dem Sharon Stone einen eindrücklichen Ausdruck von Furcht gibt. Ihr Arm reckt sich aus dem Bett, irgendetwas scheint sie greifen zu wollen, während sie ihm den Rücken zukehrt. »I hate rug rats«, lautet ihre lapidare Antwort, eine ungehörige Aussage, sind doch mit rug rats ­Hosenscheißer, also Kinder gemeint. Während sie weiter mit dem Rücken zu ihm liegt, korrigiert er sich: »Fuck like minks, forget the rug rats … and live happily ever after.« Nun hat Nick Catherine seinen Rücken zugewendet, und sie schaut ihn über die Schulter mit einem mysteriösen Blick an. Während die dramatische Musik einsetzt, ist man als Zuschauer sicher, dass sie sich nun doch als Mörderin entpuppen wird, die den Mann, der sie schwängern will, zur Strecke bringt. Doch sein Zurückrudern, was den Nachwuchs angeht, hat Wirkung gezeigt: Eng umschlungen küssen sich die beiden, gefolgt von einer Schwarzblende. Doch damit ist der Film nicht zu Ende: Die Kamera fährt von den Liebenden weg, runter unter das Bett, dahin, wo Catherine noch kurz zuvor ihre Hand hinstreckte. Dort liegt er: der Eispickel, das Mordwerkzeug.

Dass Catherine Tramell hier bereit ist, bis zum Äußersten, bis hin zum Mord zu gehen, um frei zu sein vom Zwang zur Reproduktion, macht sie zu einer der feministischsten Figuren der Filmgeschichte – streng genommen sogar zu einer queeren Figur, begreift man queer nicht nur als die Bezeichnung für die sexuelle Orientierung, sondern als einen Begriff für die Ablehnung von reduzierter, konformer Sexualität. Und nicht nur deswegen: Sie ist selbstbewusst, sei es in einem Raum voller sie ver­hörender Polizisten oder als Schriftstellerin – das Schreiben ist historisch gesehen immer die Domäne des Mannes gewesen. Dieses Privileg eignet sich Catherine rigoros an und ­benutzt sogar die Männer für ihre Geschichten.

Dass Catherine Tramell bereit ist, bis zum Äußersten, bis zum Mord zu gehen, um frei zu sein vom Zwang zur Reproduktion, macht sie zu einer der feministischsten Figuren der Filmgeschichte.

Die burschikose Katharine Hepburn, die glamouröse Greta Garbo, die androgyne Marlene Dietrich, die sinnliche Marilyn Monroe: Das sind nur vier der vielen klassischen Hollywood-Schauspielerinnen, von denen sich schwule Männer seit jeher angezogen fühlen. Das rührt daher, dass diese Frauen in einer Zeit, in der homosexuelle Figuren in Filmen entweder am Ende starben (als Beispiel sei nur »The Children’s Hour« von 1961 – deutscher Titel: »Infam« – genannt) oder gleich aus dem Skript gestrichen wurden (Warren Beattys Figur in »Bonnie and Clyde« von 1967 ist wie das historische Vorbild schwul, eine Szene im Drehbuch, in der das offen ausgesprochen wird, fiel aber dem Rotstift zum Opfer), den schwulen Zuschauern am nächsten waren. All diese Hollywood-Idole eint, dass sie sich in ihren Rollen, aber auch im Alltagsleben gegen die Männerwelt, ihre Regeln und Gesetze auflehnten, aber dennoch auch nicht ohne die Männer konnten – ein klassisches schwules Dilemma. Im besten Fall führte solch eine Konstellation in der Erzählung dazu, dass die Männer der Filme am Ende auf die männlichen Insignien pfiffen, wie in »Queen Christina«, in dem Garbo, Königin von Schweden, ein Leben als Blaustrumpf führt, bis sie den spanischen Botschafter kennenlernt, der sie erst für einen Mann hält, sich aber dennoch in sie verliebt. Oder in Billy Wilders »Some Like It Hot« mit Monroe, in dem die Figur von Jack Lemmon sich zur Tarnung als Frau verkleiden muss, ein Mann sich in ihn verliebt und er, als er sich schließlich in der letzten Szene des Films ihm gegenüber als Mann outet, nur die trockene Antwort von seinem Verehrer erhält: »Nobody’s perfect!«

Sharon Stone ist als Catherine Tramell ein Konglomerat dieser Hollywood-Größen. Catherine ist burschikos, glamourös, androgyn und sinnlich – alles auf einmal. In einem Interview, das während des Filmfes­tivals in Cannes 1992 aufgezeichnet wurde, bei dem »Basic Instinct« im Wettbewerb lief, wurde Sharon Stone nach ihrer Meinung über die Figur gefragt, die sie verkörperte, worauf sie prompt antwortete: »Oh, I think she’s evil. And I think she’s divine.« Stones Wortwahl ist bemerkenswert, denn wenn auch unbewusst, verweist sie damit auf Harris Glenn Milstead, besser bekannt unter ­seinem Künstlernamen Divine. Der löste in den siebziger Jahren die klassischen Schwulenikonen ab und wurde mit seinen obszönen und brutalen Darstellungen in den Filmen von John Waters zum neuen schwulen Helden des Underground. Die Darstellung von positiven schwulen Figuren, wie sie bereits in den Siebzigern, dann im Zuge der Proteste gegen »Basic Instinct« und auch noch heutzutage gefordert wird, konnte und wollte Divine nicht übernehmen. Ihm ging es um Transgression, ums Schockieren, um Provokation. Genau das tut auch Catherine Tramell: Für eine rein positive Identifikation taugt sie nicht, und genau deswegen ist sie faszinierend. Dass Catherine eine Frau ist, die »teuflisch« und »göttlich« zugleich ist, prädestiniert sie eigentlich dazu, eine queere ­Ikone zu sein. Leider wollten das die Protestierenden im Jahr 1991 nicht wahrhaben. Zum Glück gibt es B. Ruby Rich. Die lesbische Filmwissenschaftlerin, die den Begriff des »New Queer Cinema« prägte, nannte 1992 in ihrem wichtigsten Essay »Basic Instinct« ohne Umschweife in einer Reihe mit Derek Jarmans »Edward II« und bezeichnete ihn geradeheraus als »independent gay and lesbian film«. Und sie ließ es sich nicht nehmen, den Protestierenden gegen »Basic Instinct« ins Stammbuch zu schreiben: »›Basic Instinct‹ was picketed by the self-righteous wing of the queer community (until dykes began to discover how much fun it was).«

Eine unter Aufsicht von Regisseur Paul V­erhoeven entstandene restaurierte Version von »Basic Instinct« inklusive eines Audiokommentars von Camille Paglia und einer Dokumentation über den Film ist kürzlich auf DVD von Studiocanal veröffentlicht worden.