Iranische Revolutionsgarden haben im Nordirak Ziele mit Raketen beschossen

Der Kampf geht weiter

Am 13. März beschoss der Iran Ziele im Nordirak in der Nähe eines US-Konsulats. Die iranischen Revolutionsgarden signalisieren, dass sie ihre aggressive Politik in der Region fortsetzen wollen.

Die Revolutionsgarden des Iran sollen von der US-Terrorliste entfernt werden, auf die der vormalige US-Präsident ­Donald Trump sie gesetzt hatte. Das forderte der Iran der US-Nachrichtenseite Axios zufolge als eine weitere Bedingung für den Abschluss des internationalen Abkommens über die Kontrolle der nuklearen Aufrüstung des Landes. Axios berief sich dabei auf anonyme Quellen aus den USA und Israel. Am Freitag veröffentlichten der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett und Außenminister Yair Lapid eine gemeinsame Erklärung, in der sie die USA aufforderten, die Revolutionsgarden nicht von der Terrorliste zu streichen. Axios zufolge hatten Vertreter der Regierung Joe Biden zwar solche Absichten dementiert, doch ist unklar, in welcher Form eine Einschränkung der militärischen Aktivitäten des Iran in anderen Ländern Gegenstand bilateraler Verhandlungen zwischen Iran und USA ist.

Warum diese Frage wichtig ist, stellten die iranischen Revolutionsgarden, die von einer Art Miliz zum Schutz des Revolutionsführers Khomeini längst zur wichtigsten Macht im Staat aufgestiegen sind, vergangene Woche erneut unter Beweis. Am 13. März beschoss der Iran die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, Erbil, im Nordirak mit einem Dutzend ballistischer Raketen. Der Angriff nach Mitternacht war einer der selten öffentlich erklärten iranischen Angriffe auf Verbündete der USA – und wohl mindestens indirekt auch gegen die Vereinigten Staaten selbst gerichtet. Die Raketen schlugen in der Nähe eines neuen US-Konsulatsgebäudes ein. US-Beamten zufolge wurden weder US-Bürger verletzt noch US-Einrichtungen getroffen. Nach Angaben der kurdischen Autonomie­behörden wurde ein Zivilist verletzt und niemand getötet.

Die Anführer der iranischen Revolutionsgarden denken in der Logik eines permanenten Guerilla­kriegs gegen ihren Hauptfeind
USA und deren Verbündete – allen voran Israel.

Die iranischen Revolutionsgarden teilten auf ihrer Website mit, der Angriff habe ein israelisches Spionagezentrum in Erbil zum Ziel gehabt. Er erfolgte wenige Tage nach einem israelischen Luftangriff in Syrien, bei dem nach Angaben der Revolutionsgarden zwei ihrer Mitglieder getötet wurden und für den sie Vergeltung ankündigt hatten. Am Samstag drohten die Revo­lutionsgarden, weitere »zionistische Basen« im Irak zu beschießen. »Wenn die irakischen Autoritäten nicht handeln und andere Basen der Zionisten entfernen, während unsere Sicherheit weiterhin aus dieser Region bedroht wird, werden wir ohne Zögern handeln«, zitierte der Times of Israel ­zufolge eine iranische Nachrichtenagentur einen Sprecher der Revolutions­garden.

Raketenangriffe auf US-amerikanische Einrichtungen finden im Irak ­immer wieder statt und werden üblicherweise von mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen verübt. Von diesen verfügen einige über mehrere Tausend bewaffnete Kämpfer. Die Badr-Organisation beispielsweise stammt aus der Zeit des Kriegs zwischen dem Iran und dem Irak in den achtziger Jahren, ist eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden und verfügt Schätzungen zufolge über mehr als 10 000 Kämpfer. Andere Milizen stammen aus der Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins. Ihr Verhältnis zum Iran ist mal enger, mal distanzierter und nicht immer konfliktfrei. Der irakische schiitische Geistliche und Politiker Muqtada al-Sadr gründete im Juni 2014 die Miliz Saraya al-Salam oder auch Friedensbrigaden, um den »Islamischen Staat« (IS) zu bekämpfen. Viele ihrer Kämpfer waren zuvor Mitglieder von Sadrs berüchtigter Mahdi-Armee, einer Miliz, die Mitte der nuller Jahre US-Streitkräfte und andere irakische Gruppen bekämpfte. Sadr war zunächst eng mit dem Iran verbündet und suchte dort 2007 Zuflucht, um sich dem Zugriff US-amerikanischer und irakischer Truppen zu entziehen. Inzwischen ist sein Verhältnis zum Iran deutlich abgekühlt. 2018 verbündete er sich mit der Kommunistischen Partei des Irak. Bei den Wahlen im Oktober gewann sein Wahlblock al-Tayyar al-Sadri die größte Zahl an Sitzen (73 von 328) im irakischen Parlament. Den Raketenangriff vom 13. März verurteilte al-Sadr, der eine Koalitionsregierung mit arabisch-sunnitischen Parteien und der nordirakischen Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) anstrebt. Kurdische Analysten stellten deshalb auch die Mutmaßung an, der Raketenangriff könnte als Warnung an die PDK gemeint sein, kein Bündnis mit den gegen Iran gerichteten politischen Kräften im Irak einzugehen.

Zuletzt waren im Januar 2020 von iranischem Territorium aus Raketen direkt auf US-Einrichtungen abgefeuert worden. Als Vergeltung für die Tötung des iranischen Kommandeurs Qasem Soleimani durch die USA wurde der US-Luftwaffenstützpunkt Ayn al-Asad im Westen des Irak angegriffen. Der Angriff auf Erbil nun erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Gespräche zur Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran zu scheitern drohten, weil Russland gefordert hatte, seine Handelsbeziehungen mit dem Iran dürften nicht von den Sanktionen wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine betroffen sein. In diesem Kontext wirkt der Angriff in Erbil wie eine Botschaft der Revolutionsgarden an die USA und ihre europäischen Verbündeten und als aggressives Bekenntnis iranisch-russischer Verbundenheit.

Die iranische Außenpolitik verfolgt seit der Gründung der Islamischen Republik zwei Richtungen, in der sich der Doppelcharakter der Islamischen ­Republik widerspiegelt: Zum einen versteht sie sich als iranischer Nationalstaat, zum anderen ist sie ihrem übergeordneten Selbstverständnis nach die Agentur einer internationalen »islamischen Revolution«. Als Letztere verfolgte die Islamische Republik weltweit eine Politik der Unterstützung oder des Aufbaus entsprechender Gruppen. Dazu gehören die eng mit dem Iran verbundene schiitische Hizbollah im Libanon, die schiitischen Milizen im Irak und die Houthi-Kämpfer im Jemen. Auch das Bündnis mit der palästinensischen, sunnitischen Hamas steht in der Linie der Unterstützung von islamischen »Widerstandsbewegungen«, die gegen Israel, die USA und »den Westen« kämpfen. Konfessionelle Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten interessieren die Islamische Republik nicht in erster Linie. Zwar gibt es eine stärkere Affinität zu schiitischen Gruppen, die auf den iranischen Revolutionsführer Khomeini zurückgehende Ideologie steht aber den sunnitischen Muslimbrüdern, aus denen beispielsweise die Hamas hervorging, deutlich näher als etwa den Salafisten. Mit Saudi-Arabien und seinen Machthabern ist die Islamische Republik seit Anbeginn verfeindet. Beide Staaten stehen mit ihrem Anspruch auf religiöse Deutungshoheit und beim Kampf um die Vormacht am Persischen Golf in Konkurrenz zuein­ander. Im Irak kämpften die mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen auch gegen den IS.

Auf der anderen Seite verfolgt die Islamische Republik traditionelle Staats­diplomatie und eine Bündnispolitik, die von manchen Beobachtern als pragmatisch und realpolitisch interpretiert worden ist. Dazu gehören die seit langem bestehenden Verbindungen zum syrischen Ba’ath-Regime und zu Russland.

Als Reaktion auf die US-amerikanischen Sanktionen band sich der Iran wirtschaftlich wie militärisch immer enger an Russland. Die iranischen Atom­anlagen in Bushehr werden mit russischer Technologie betrieben. Als US-Präsident Donald Trump im Mai 2018 den Austritt aus dem unter seinem Vorgänger Barack Obama ausgehandelten Atomabkommen erklärte, initiierte er eine Politik des maximum pressure auf den Iran und verhängte die umfassendsten und härtesten Sanktionen, die bis dahin je von den USA gegen ein Land erlassen worden waren. Wie schon 2012 wurden Irans Banken vom internationalen Überweisungssystem Swift ausgeschlossen. Wegen der Sanktionen importiere der Iran nach einem Bericht von Human Rights Watch von 2019 der Iran kaum noch Medikamente.

Ziel der Sanktionen war es nach Trumps Aussagen, den Iran zu einem aus US-Sicht »besseren Deal« zu zwingen. Kritiker warfen dem bisherigen Abkommen unter anderem vor, dass es Irans Raketenprogramm und andere sicherheitspolitische Bedrohungen für die USA und seine regionalen Verbündeten nicht umfasst habe. Der Iran verstärkte daraufhin seine Kooperation mit Russland. Die iranischen ­Exporte nach Russland seien allein seit Beginn des laufenden iranischen ­Kalenderjahres (21. März 2021) erneut um 60 Prozent gestiegen, zitierte die Tehran Times den Vorsitzenden der russisch-iranischen Handelskammer im Februar. Beide Staaten unterstützten bereits mit eigenen Streitkräften den syrischen Diktator Bashar al-Assad im Bürgerkrieg.

Es ist denkbar, dass die unter hohem Druck stehende russische Regierung von ihrem iranischen Verbündeten ein Zeichen erwartet hatte, das den europäischen und US-amerikanischen Verhandlern über ein Atomabkommen ein bisschen zu denken geben würde. Doch entspräche eine solche Provo­kation auch der Denkweise der iranischen Revolutionsgarden selbst. Ihre Anführer denken in der Logik eines permanenten Guerillakriegs ihrer islamischen Revolution gegen den Hauptfeind USA und deren Verbündete – allen voran Israel. Diesem Ziel werden ökonomische Interessen und das Wohlergehen der iranischen Bevölkerung jederzeit untergeordnet.