Krokusse beim Wachsen

Sag mir, wo die Krokusse sind

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Der in einem Minibeet wohnende, frisch begossene kleine gelbe Krokus könnte optimis­tischer aussehen. Tut er aber nicht, was zuallererst daran liegen dürfte, dass er noch nicht entschieden hat, ob ihm die Welt, so wie er sie vorgefunden hat, überhaupt gefällt. Im Moment steht er nämlich noch ganz allein da, weil seine potentiellen Krokusfreunde um ihn herum alle noch aus grünen, nur ein kleines Stückchen aus der Erde herausgewachsenen Blättchen bestehen. Natürlich, bald werden sie richtige Blümchen sein, vermutlich, aber ganz genau weiß man es eben nie, zumal die verantwortliche Beetperson hauptsächlich die staubige Erde und nicht das Grün gegossen hat. Und dann ist da ja außerdem noch der Atomkrieg, der, soviel weiß man bereits, keinerlei Rücksicht auf kleine Krokusse nehmen wird.

Kann aber auch gut sein, dass Krokusse ohnehin kein Interesse daran haben, auf einer derart bescheuerten Welt zu leben. Und dabei können sie nicht einmal lesen, und bekommen deswegen gar nichts mit vom großen Ego-Gedröhne, mit dem überall das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung aufgerechnet, relativiert, kleingeredet und vor allem dazu benutzt wird, um sich in Szene zu setzen. Weiß ja schließlich jeder: Das erste Opfer eines Kriegs ist nicht etwa die Wahrheit, sondern es sind die Deutschen, denen angesichts von Bildern toter Zivilisten zuallererst sie selbst ein­fallen und natürlich, wie sich diese Bilder benutzen lassen, um sich optimal in Szene zu setzen. Und ja, das gilt für alle, Rechte, Linke, Dazwischene, aber wir waren beim kleinen gelben Krokus. Der nun bald auch schon wieder verblüht sein wird, aber mit etwas Glück ein erfülltes Leben gehabt haben wird, nämlich eines voller Dastehen und In-der-Gegend-Herumgucken und dem Tratschen mit den anderen Krokussen darüber, wie diese Leute da schon wieder alle angezogen sind, und guck mal, da kommt die Gießbeauftragte und schwappt schon wieder Wasser an uns vorbei.