Der Überfall auf die Ukraine lässt in der Landwirtschaft die Produktionskosten steigen

Trog und Tank gehen vor

Die Agrarindustrie versucht, den Ukraine-Krieg zu nutzen, um bescheidene ökologische Auflagen abzuschütteln. Umweltverbände verweisen darauf, dass die konventionelle Landwirtschaft zu Hunger und Umwelt­zerstörung beiträgt.

Abgesehen vielleicht von Sonnenblumenöl dürfte die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln hierzulande gesichert sein. Trotzdem sorgt der russische Überfall auf die Ukraine für eine anhaltende Debatte über die Landwirtschaft in Deutschland.
»Die Lebensmittelversorgung ist in Deutschland sicher, das gilt auch für die EU«, sagte der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Ende März den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Wenn jemand hierzulande wegen des Ukraine-Kriegs Mangel leiden muss, dann wohl eher aufgrund der enormen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln wie Fleisch, Salat oder Milchprodukten.

Ohnehin wurde das Getreide aus der Ukraine überwiegend nach Nordafrika und in den Nahen Osten exportiert. Der russische Präsident Wladimir Putin benutze »die Verknappung von Getreide als Waffe«, so Landwirtschaftsminister Özdemir. »Er will, dass bei uns die Preise steigen und anderswo, in den ärmsten Ländern der Welt, der Hunger zunimmt. Mit dieser perfiden Strategie nimmt er weltweit Menschen als Geiseln.«

Der Präsident des Landesbauernverbands Brandenburg, Henrik Wendorff, sagte Anfang April im Gespräch mit der Berliner Zeitung, Landwirten hierzulande bereiteten sowohl die gestiegenen Preise für Treibstoff Probleme als auch die Versorgung mit Dünger, der zu einem großen Teil aus Russland komme. Die konventionelle Landwirtschaft benötigt große Mengen Energie, zum Beispiel in Form von Diesel für Traktoren und Mähdrescher, aber auch für die Produktion von Dünger, für Mühlen oder den Transport der Produkte.

Steigende Produktionskosten bedrohen kleine und mittlere Höfe existentiell und verschärfen den Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft.

Steigende Produktionskosten bedrohen kleine und mittlere Höfe existen­tiell und verschärfen den Konzentrationsprozess, der ohnehin permanent im Gang ist. Die Anzahl der Betriebe ist dem Statistischen Bundesamt zufolge von 2010 bis 2021 um über 13 Prozent gesunken. Höhere Preise für Lebensmittel wiederum treiben immer mehr Menschen in die Armut, wie die gestiegene Nachfrage bei den Ausgabestellen der Hilfsorganisation Tafel zeigt. Dort werden Lebensmittel, die sonst nicht mehr verwendet oder vernichtet würden, an Bedürftige verteilt.

Die Agrarindustrie versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen, um ökologische Auflagen auszuhebeln und so Produktion und Profit zu steigern. Beispielsweise die Pflicht für landwirtschaftliche Betriebe, fünf Prozent ihrer Ackerfläche als sogenannte ökologische Vorrangfläche bereitzustellen. Diese Flächen müssen im Umweltinteresse genutzt werden, sie können als Brachland stillgelegt oder als Grünstreifen am Feldrand angelegt werden.

Die EU-Kommission will die Produktion von Futter- und Nahrungsmitteln ausweiten und dafür ökologische Vorrangflächen nutzen. Dabei handelt es sich allein in Deutschland um bis zu 250 000 Hektar. Das entspricht der Forderung des Deutschen Bauernverbands. Dessen Präsident Joachim Rukwied wies Anfang April im Gespräch mit der Taz die Forderung von Wissenschaftlerinnen und Umweltverbänden zurück, stattdessen besser den Fleischkonsum und die Herstellung von Agrarsprit zu reduzieren, um Flächen für den Anbau von Nahrung zu gewinnen.

Landwirtschaftsminister Özdemir kam dem Bauernverband auf halbem Weg entgegen. Sein Ministerium genehmigte per Verordnung, dass ökologische Vorrangflächen in diesem Jahr für den Anbau von Viehfutter genutzt werden dürfen. Das gilt auch für sogenannte Zwischenfruchtflächen, auf denen über den Winter Angebautes sonst untergepflügt werden muss, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu sichern. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sehe Engpässe vor allem im Bereich des Viehfutters, heißt es in einer Pressemitteilung von Mitte März. Besonders betroffen sei von den Lieferausfällen aus der Ukraine die ökologische Landwirtschaft, deren Tiere seit diesem Jahr vollständig mit ökologisch erzeugtem Futter versorgt werden müssen. Deshalb setze sich das Ministerium auf EU-Ebene für Ausnahmen ein. Das zeigt, wie sehr auch die ökologische Landwirtschaft in die internationale kapitalistische Arbeitsteilung eingebunden ist.

Der Kurs des grünen Landwirtschaftsministers steht in Gegensatz zu den Forderungen von Umweltorganisationen wie dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Greenpeace oder dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und von Verbänden wie »Brot für die Welt« oder Misereor. Sie kritisieren, dass zu viel Fläche für Trog und Tank verschwendet werde, das heißt, als Futter in Tierfabriken landet oder als Agrarsprit Autos antreibt. Die Nutzung der Brachflächen bringe nichts für die Ernährung in diesem Jahr, weil der Sommerweizen längst gesät sei, sagte etwa Francisco Marí von »Brot für die Welt« dem Saarländischen Rundfunk. Er kritisiert einen »Versuch von Agrarindustrie und einigen Bauernverbänden, die wenigen Fortschritte in der EU-Agrarpolitik durch Missbrauch der aktuellen Hungerkrise wieder aufzuheben«.

Die Verbände können sich auf die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stützen, die sowohl die unmittelbaren Folgen des Kriegs in der Ukraine als auch Klimawandel und Artensterben berück­sichtigen. Mehrere Hundert Forschende aus verschiedenen Ländern haben ­einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie fordern, die Tierbestände, die Lebensmittelabfälle und die Nutzung von Agrarethanol zu reduzieren. Zudem schlägt eine Gruppe deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem weiteren offenen Brief von Anfang April vor, die Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erhöhen und für pflanzliche Produkte zu senken. Stickstoffüberschüsse sowie Methan- und Kohlendioxidemissionen in der Landwirtschaft sollten demnach mit einer direkten Abgabe belegt werden. Um eine Verarmung zu bremsen, sollten die Grundrente und die Grund­sicherungsbeiträge für Ernährung erhöht, die Tafeln und Sozialmärkte subventioniert werden.
Sowohl die Klimakrise als auch die Covid-19-Pandemie zeigen jedoch, dass die politisch Verantwortlichen allzu oft wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, wenn wichtige Kapitalfraktionen ihre Profitinteressen berührt sehen.