Unsere Kolumnisten starten ihre Wanderung an der mexikanischen Grenze

Nerd Alert

Walk on the Wild Side. Zwei Schwule – ein Wanderweg Von

In Los Angeles kostet eine Pizza 32 Dollar, happig für das schmale Budget eines Wanderers, deshalb nicht lange bleiben, sondern schnell zum Walk of Fame und die Hände in die Handabdrücke von Judy Garland legen, kurz innehalten und schon erklingt »Somewhere over the Rainbow« im lärmgeplagten Ohr des nach Ruhe suchenden Hikers.

Nach diesem erhabenen Moment geht es mit dem Mietauto in Richtung San Diego. Bei diesem Roadtrip mit Blick auf den Pazifik und Fahrtwind im nicht mehr ganz so wallenden Haar fühlt man sich fast wie bei »Thelma & Louise«. Zum perfekten Filmmoment fehlen nur noch die Sirene und Blaulicht im Rückspiegel, und wo bitte ist eigentlich Brad Pitt?

Doch wer braucht schon Brad, wenn in San Diego Frodo und Scout auf einen warten. Die beiden sind Legenden der Thru-Hiker-Szene und beherbergen jedes Jahr Hunderte internationale Wandervögel an ihrem letzten Abend vor dem Aufbruch auf den Pacific Crest Trail. Der saftig grüne Rasen hinterm Haus, der zum Campieren bereitsteht, entpuppt sich als perfekter Kunstrasen. Ist das der berühmte American Dream? Ein Traum ist es wahrhaftig, bei den Popstars der Hiker-Bubble verweilen zu dürfen. In etwa so, als würde man morgens von Madonna geweckt werden, den Nachmittag mit Elton John verbringen und abends auf ein Glas Prosecco bei Vicky Leandros vorbeischauen: Was kann mir schon geschehen, du weißt, ich liebe das Leben!

Man wähnt sich nur kurz in intimer Runde bei den celebrities, da klopfen auch schon zwei Deutsche an die Tür, um ihre Handtücher auf dem Kunstrasen auszubreiten. Zurück auf dem Boden der Tatsachen. Die beiden erweisen sich als große Hilfe bei der Reorganisation des Wanderrucksacks. Da fliegen schnell fünf Kilo überflüssigen Ballasts aus dem Gepäck und landen in einer Box, die man sich vorausschickt.

Kommentiert werden die als unnütz angesehenen Gegenstände (Obacht: Trigger!) mit den Worten »schwul« und »behindert«. Danke für die Hilfe, aber anscheinend bedarf es eines queering des Pacific Crest Trail. Und da einem der Regenbogen aus dem Hintern scheint, fühlt man sich erst recht als Botschafter der Community, um den Trail schwuler zu machen. Die passenden Accessoires dazu (rainbow button, rosa Armband und Häkel-Einhorn) wurden natürlich nicht aussortiert und werden bei dieser wichtigen Aufgabe für Sichtbarkeit und Pride sorgen!

Generell verbringt der gemeine Wanderer viel Zeit und Aufwand damit, sich sein ultraleichtes Equipment für den Trip seines Lebens zusammenzustellen. Die sozialen Medien laufen über vor Experten, die in kleinteiligen Diskussionen Pros und Contras einzelner Gegenstände zusammentragen und nur zu gerne Unwissende aufklären. Der teilnehmende Beobachter merkt sofort: nerd alert. Was man wirklich braucht, zeigt sich jedoch erst auf dem Trail, da die individuellen Bedürfnisse doch sehr unterschiedlich sind. Ist für jene der ultraleichte Klappstuhl unverzichtbar, so ist es für andere das feuchte Toilettenpapier. Jeder Po ist halt anders.

All der Einfältigkeit der vorangegangen Planung zum Trotz geht es nun endlich los, mit nicht mehr ganz so schwerem Gepäck auf dem Rücken. Dank Frodo und Scout steht man morgens in der Früh am südlichen Ende des Trails an der mexikanischen Grenze, mit ein paar Tränchen in den Augen, denn der Wüstensand fegt an diesem Morgen besonders wild, nicht dass jemand auf die Idee kommt, man wäre sentimental, gar »voll schwul«! Frodo blickt einen an und sagt: »Make wise decisions.« Ob diese ganze irrsinnige Idee, bis nach Kanada zu laufen, solch eine weise Entscheidung ist, fragt man sich dann doch.